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Warum Pressereisen für viele Redaktionen heute tabu sind

Warum Pressereisen für viele Redaktionen heute tabu sind Lisa Nienhaus (Foto: Roman Pawloswki)

„Wir fahren nur, wenn wir sonst nicht hinkommen würden“, sagt Lisa Nienhaus von der „Süddeutschen Zeitung“. Warum große Redaktionen Pressereisen heute fast nur noch ablehnen – und was sich in der Branche verändert hat.

München – Pressereisen galten jahrzehntelang als fester Bestandteil des Medienalltags – besonders im Reise- und Automobiljournalismus. Doch seit Enthüllungen über mögliche Einflussnahmen hat sich die Branche spürbar gewandelt. Immer weniger Unternehmen laden ein, immer mehr Redaktionen lehnen ab. „Wir fahren nur, wenn wir dadurch an Orte oder Informationen kommen, die sonst kaum zugänglich wären“, sagt Lisa Nienhaus von der „Süddeutschen Zeitung“. Auch andere große Medienhäuser haben klare Regeln, wer, wann und warum reisen darf – und vor allem: wer zahlt.

 

Marcus Schuster fasst seine Recherche für die  „Wirtschaftsjournalist:in“ zusammen: „Jahrzehntelang waren Pressereisen vor allem im Reise- und Automobiljournalismus üblich. Auch Unternehmen aus anderen Branchen luden Journalistinnen und Journalisten teilweise zu exklusiven Reisen ein.“ Die „Welt am Sonntag“ deckte im Jahr 2012 ein entsprechendes Vorgehen von Thyssenkrupp auf. Mindestens die „FAZ“ soll nach einer solchen Reise wohlwollend über den Konzern berichtet haben.

 

Die Enthüllung hat offenbar im Lauf der Jahre für ein Umdenken gesorgt – auf beiden Seiten. Heute würden Unternehmen „sehr viel weniger Pressereisen anbieten als früher“, sagt Lisa Nienhaus, Ressortleiterin Wirtschaft bei der „Süddeutschen Zeitung“. „Und wir nehmen auch nur wenige ausgewählte an. Meist dann, wenn wir dabei besondere Zugänge bekommen – zu Informationen, Orten oder Personen, zu denen man sonst nur schwer durchdringt, die aber relevant sind.“ In solchen Fällen trage die „SZ“ alle Kosten (Übernachtung, Fahrt) selbst, so Nienhaus. Daher sei es sinnvoll, „wenn der Anbieter diese vorher ausweist“. Pressereisen hingegen, „die wie eine Art Urlaub wirken oder verkappte Werbung sind, können sich die Firmen sparen“, so Nienhaus. „Weil kein seriöses Medium mitfährt.“

Ähnlich äußern sich die Handelsblatt Media Group und der „Spiegel“, der auf seine festgeschriebenen „Spiegel-Standards“ verweist: seltene Teilnahme und, wenn überhaupt, nur bei explizitem redaktionellem Interesse. Die Kosten werden selbst getragen.

 

In der Wirtschaft würden Pressereisen heute noch vor allem in vier Bereichen angeboten, sagt Timo Pache, Chefredakteur von „Capital“ und Ressortleiter Wirtschaft bei RTL: in der Automobilbranche (etwa zu großen Messen wie Shanghai oder zur Präsentation neuer Modelle), im Tourismus (Vorstellung neuer Hotels, Kreuzfahrtschiffe, besonderer Destinationen), im Finanzsektor (internationale Konferenzen) und vereinzelt von Großunternehmen aus Industrie und Mittelstand (etwa zur Einweihung neuer Fertigungsstandorte). „In den ersten drei Bereichen kommen die Angebote von allen wichtigen Herstellern und Anbietern“, erklärt Pache.

 

Auch manche NGO oder Stiftung veranstalten Pressereisen, etwa in Krisenregionen oder Länder mit großen Hilfsprojekten. Wie die SZ nähmen „Stern“ und „Capital“ nur wenige Angebote an. „Zudem versuchen wir, die Kosten selbst zu tragen.“ Ausnahmen gebe es nur, „wenn diese in keinem Verhältnis stehen, etwa bei besonders entfernten und exotischen Reisezielen. Dann machen wir die Einladung durch einen Hinweis transparent.“

 

Der Grund einer Pressereise müsse klar ersichtlich sein, erklärt Pache: „Zum Beispiel besondere Zugänge – wie der Besuch eines Fertigungswerks von Airbus oder ähnliches. Oder wenn Interviewpartner nur in den organisierten Umständen ansprechbar sind.“ Außerdem sollte die Pressereise eindeutig als Geschäftsreise mit klarem Ablaufplan und Kostenübersicht erkennbar sein und die Journalistinnen und Journalisten nur zum Nötigsten eingeladen werden, „ohne zusätzliche Goodies“. Eine Besonderheit seien mittlerweile Messebesuche in China für westliche, nicht dauerhaft akkreditierte Journalistinnen und Journalisten. Pache: „In diesem Fall nutzen wir die Organisation auch für die Visumsvergabe, An- und Einreise bis zur Unterkunft und Fortbewegung im Land. Ohne Einladung durch ein Unternehmen ist dies heute kaum noch möglich.“

 

Bei Axel Springer verweist man darauf, dass sich viele Pressereisen heute eher an Influencer und Content Creator richten und von diesen angenommen würden, weil sie nicht an journalistische Standards gebunden sind. Das Wirtschaftsressort von „Bild“ habe im vergangenen Jahr nur an zwei Pressereisen teilgenommen, sagt Ressortleiterin Patricia Platiel.

 

„Wir wägen sehr genau ab, ob solche Reisen zum journalistischen Relevanz- sowie Exklusivitätsanspruch von ‚Bild‘ passen und den Aufwand rechtfertigen. Eine Pressereise sollte in ihrem Rahmen zusätzliche exklusive Zugänge bieten und zudem einen möglichst kurzen Zeitrahmen umfassen.“ Das „Bild“-Wirtschaftsressort zahle grundsätzlich selbst. „Sollte anderweitige Berichterstattung durch eine Pressereise unterstützt worden sein, weisen wir im Einklang mit den Leitlinien von Axel Springer zur journalistischen Unabhängigkeit transparent am Ende eines Beitrags darauf hin“, erklärt Platiel.

 

Zum vollständigen Bericht

 

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