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Wenn KI das Licht ausmacht: Über das das Ende des digitalen Journalismus

Wenn KI das Licht ausmacht: Über das das Ende des digitalen Journalismus Markus Wiegand

„kress pro“-Chefredakteur Markus Wiegand sieht den digitalen Journalismus an einem Wendepunkt. KI, sinkende Reichweiten und neue Geschäftsmodelle zwingen Medienhäuser zum Umdenken – und zur Rückbesinnung auf ihre Stammleserschaft.

Berlin – Die KI-gestützte Suche bedroht das Geschäftsmodell des algorithmischen Journalismus und eröffnet zugleich neue Chancen, schreibt Chefredakteur Markus Wiegand im aktuellen „kress pro“:

 

Eigentlich blicke ich immer mit einer gewissen Zuversicht in die Zukunft und bin überzeugt: Zum Optimismus gibt es keine sinnvolle Alternative. Schon gar nicht als Medienjournalist. Schließlich wird in der Medienbranche in schöner Regelmäßigkeit das Ende des Journalismus ausgerufen: durch das Internet, durch die sozialen Medien, durchs Metaverse oder was auch immer. Doch bislang haben sich all diese Schreckensszenarien nicht bewahrheitet, und viele Medienhäuser haben sich trotz des enormen ökonomischen Drucks durch die Digitalisierung erstaunlich wacker geschlagen.

 

In letzter Zeit mache ich mir allerdings tatsächlich ein wenig Sorgen. Der Grund: Ausgewiesene Digitalprofis beschwören in Hintergrundgesprächen derzeit etwas zu oft die Apokalypse. Das Schreckensszenario: Wenn KI künftig dafür sorgt, dass Menschen journalistische Webseiten nicht mehr direkt ansteuern, sondern die Antworten der KI schon reichen, dann bedeutet das das Ende des digitalen Journalismus, wie wir ihn kennen. Denn Reichweite ist der entscheidende Rohstoff der digitalen Transformation, ganz unabhängig davon, ob ein Medium seine Erlöse über Werbung, Abos oder zunehmend auch über Quellen wie Events erzielt.

 

Die größte unmittelbare Bedrohung heißt Google: Wenn die Suchmaschine als wichtigster Traffic-Bringer radikal auf KI-Overviews statt auf Verlinkungen setzen sollte, gehen bald die Lichter aus, prophezeit eine sonst ganz nüchtern denkende digitale Führungskraft eines großen Medienhauses. Für die Titelstrecke dieser Ausgabe haben wir Top-Digitalprofis gefragt, wie sie mit der Herausforderung umgehen. Vier Erkenntnisse:

 

1. Medien brauchen ein Stammpublikum
Die große Verlockung, mit SEO-getriebenem Journalismus möglichst viel flüchtiges Publikum anzuziehen, wird nicht mehr funktionieren. Stattdessen wird es darum gehen, über Newsletter, Apps oder Podcasts Menschen an Marken zu binden. Das ist gesellschaftlich eine gute Nachricht. Denn damit geraten auch die überdrehten Reichweitenmodelle unter Druck, die mit Zuspitzungen auf schnelle Klicks und kurzfristige Vermarktungserlöse gesetzt haben.

 

2. Medien müssen ihre Inhalte konsequent schützen
In den Vereinigten Staaten, aus denen Ulrike Langer für „kress pro“ berichtet, ist die Diskussion schon weiter. Dort beschäftigen sich Publisher damit, ihre Inhalte der Verwertung durch parasitäre KI-Dienste zu entziehen und zugleich neue, KI-resiliente Produkte zu entwickeln. Zudem entstehen erste Marktplätze, auf denen Medien ihre Inhalte gegen Lizenzgebühren anbieten können. Auch Perplexity hat gerade ein Modell angekündigt, bei dem Medien an den Einnahmen beteiligt werden. All das wird den Journalismus zwar wohl nie entscheidend finanzieren, aber es ist ein wichtiges Signal: Inhalte dürfen nicht entschädigungslos genutzt werden. Genau das hat etwa Google als Suchmaschine viel zu lange praktiziert.

 

3. Medien müssen selbst Antwortmaschinen werden
Die womöglich größte Herausforderung der Zukunft liegt beim Inhalt. Lange Zeit haben Medien einfach Inhalte publiziert und die geschätzten Leserinnen und Leser mussten selbst sehen, wie sie damit umgehen. Künftig aber wird ein großer Teil der Aufmerksamkeit auf konkrete Antworten gelenkt. Das bedeutet: Wir müssen zum Teil auch selbst Antworten geben oder zumindest Inhalte bereitstellen, die dafür geeignet sind. Der Trend, Journalismus als Dienstleistung und damit letztlich als Service zu begreifen, dürfte sich weiter verstärken.

 

4. Medien müssen viel transparenter werden
Martin Andree, habilitierter Medienwissenschaftler und Buchautor, sagte uns für diese Ausgabe: „Es wäre wichtig, dass der Journalismus die ökonomische Bedrohung der Medien- und Pressefreiheit viel stärker thematisiert, denn bis heute gibt es keine ernsthafte gesellschaftliche Debatte zu diesen Zusammenhängen.“ Ich behaupte: Das hat auch etwas damit zu tun, dass weite Teile der Branche von Google abhängig sind und nicht selten durch Direktzahlungen ruhiggestellt werden.

 

Must-Reads im neunen „kress pro“:

  • So sichern sich Medien jetzt Reichweite: Die KI-Suche kostet immer mehr Traffic. Mit welchen Gegenstrategien Digitalprofis wie Jan Ippen reagieren
  • Wie US-Publisher KI-resistente Produkte entwickeln und Geld über Lizenz-Marktplätze verdienen wollen.
  • Wie Carsten Dorn die Erlöse bei Score Media durch Programmatic Advertising steigert