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Wie Verleger wissentlich ihre Medien zerstören

Wenn am Montag, 22. Oktober, Journalisten von 13 bis 15 Uhr vor dem Verband Österreichischer Zeitungen an der Wipplingerstraße 15 in Wien protestieren, hat das einen ernsthaften Grund. Die Verleger haben den Kollektivvertrag gekündigt. Dabei ist die Situation einiger Journalisten nicht nur von der Bezahlung her, sondern auch von der Arbeitsdichte schlimm. Ein besonders extremes Beispiel, wie Journalismus nicht funktionieren kann und darf, beschreibt Paul Aigner.

Wien - Aigner schildert in seinem Beitrag, welche Macht PR-Leute inzwischen auf Redaktionen haben. Die Geschichte stammt aus Aigners Zeit, als er noch kein Social-Media-Berater in Wien war, sondern "Pressesprecher in einer Kleinstadt". Und natürlich gehört so ein Geschehen noch zu den Wildwüchsen im Journalismus - zumindest bis jetzt. Aber wie steht es um Medien in einem Land generell, in dem so etwas überhaupt passieren kann? Und sollten die Verleger nicht darauf achten, dass sie eine Arbeitssituation schaffen, in der so etwas überhaupt nicht passieren, in der ihre Mitarbeiter nicht umfallen, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Familien ernähren und ihre Arbeit schaffen sollen?

Für deutsche Leser – „Bezirksblätter“ sind Anzeigenzeitungen, die auch in Deutschland vielerorts den Tageszeitungen mächtig Konkurrenz machen und wirtschaftlich besonders gut reüssieren.

Diese Stadt hat für jeden Abend eine spannende Veranstaltung. Heute: Ich unter lauter Journalistinnen und Journalisten. Die organisieren sich gerade, weil der Kollektivvertrag abgeschafft worden ist. Ich könnt mich seitenlang ausbreiten darüber, was das für eine Sauerei ist, wie die nach abgeschlossener Ausbildung gezahlt werden. 1.200 Euro für Vollzeit und Wochenenddienste? Das ist also gute journalistische Arbeit wert? Anstatt mich seitenlang auszubreiten, eine schöne hässliche Geschichte aus meinem letzten Leben als Pressesprecher in einer Kleinstadt.

 

Paul Aigner beklagt die Prekaisierung im österreichischen Journalismus und ihre  Konsequenzen. Foto: Müller

 

Eines Tages versuchen wir, eine Geschichte in einer Bezirkszeitung zu lancieren, die zum Fast-Monopolisten Moser Holding gehört. Wir haben nämlich gelernt: Die Bezirksblätter lesen alle im Land. Weil sie manchmal selber vorkommen, weil es um das eigene Dorf geht, weil die Zeitungen eine Woche lang beim Friseur, bei der Ärztin und im Kaffeehaus herumliegen. Wir kommen bei der Recherche drauf, dass die Geschichte eigentlich kalt ist: Wir wollen ein Thema anziehen, das schon abgeschlossen ist. Die lokale BürgerInneninitiave hat den Bürgermeister längst überzeugt, dass die zusätzliche Straße nicht so g’scheit ist und dass er aus dem Amt gejagt wird, wenn er mehr Fließverkehr durch den Ort bringt.

Nur: das wusste der Journalist nicht. Zwei Tage nach unserer Pressemeldung exklusiv an ihn (weil ja: Wettbewerb) ruft der an und sagt, das ist viel mehr als Randspalte mit Foto Seite 7, er will die ganze Seite vier zu dem Thema. Aber… er hat Stress. Ob wir nicht den Text schreiben können. Machen wir natürlich – wir sind ja nicht blöd. Einen Tag vor Redaktionsschluss hat er einen Bauern gefunden, der offenbar auch noch nicht mitgekriegt hat, dass das Projekt abgeblasen ist. Von dem hat er ein paar Zitate.

Eine G’schicht’ is eine G’schicht’

Aber - er hat Stress. Ob wir nicht den Text auf einen Eineinhalb-Seiter aufblasen können. Wir schwitzen und schreiben mit schlechtem Gewissen. Aber eine G’schicht’ is eine G’schicht’. 6 Stunden vor Redaktionsschluss, Telefon. Das in Wirklichkeit schon abgeblasene Projekt ist wirklich so ein Skandal, er würd’ auch noch seinen Kommentar auf Seite 3 dazu schreiben. Abe - richtig erraten, Stress.

Drei Tage später hab ich die Zeitung in der Hand. Die Seiten 2, 3 und der Kommentar – unverändert, Wort für Wort mein Text, inklusive Kommentar mit seinem Gesicht. Ich hab das wider besseres Wissen für meinen Arbeitgeber getan, mit minderen Motiven, es ist ein schmutziges Geschäft. Ich hab die Prekarisierung des Journalisten ausgenutzt. Der Mann hat natürlich trotzdem gegen jedes journalistische Prinzip verstoßen, keine Frage. Das tun, nach meiner Beobachtung, die meisten Kolleginnen und Kollegen nicht.

Aber die Zeitung mit der falschen Geschichte und mit dem gefaketen Kommentar war gedruckt. Über 60.000 Menschen bekommen dieses Blatt vor die Haustür gelegt. Der Mann ist ein Gatekeeper – und zwar vielleicht sogar ein wichtigerer, als die Nummern 3-5 in der Landespolitik der Tiroler Tageszeitung. Der Mann beackert einen ganzen Tiroler Bezirk. Jetzt kann man schon sagen, da fällt alle drei Wochen mal eine Kuh vom Acker – aber manchmal will eben auch ein Bürgermeister doch keine Straße mehr bauen. Was der als Redakteur verdient hat? Richtig, 1.200 Euro.

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Ich will von den Chefredakteuren und von den Verlegern keine großen Worte mehr über journalistischen Ethos hören. Sie sollen sich ihre moralischen Vorträge in die Haare schmieren und aufhören, sich mit Lehraufträgen an Universitäten und Privatschulen ihren Lebenlauf und ihr Gehalt aufzubessern.

Die Prekarisierung von Redakteurinnen und Redakteuren ist nicht nur Ausdruck einer redaktionsinternen Schieflage. Es ist auch demokratiepolitisch skandalös, seine Türsteher zur zehntausendfach veröffentlichten Meinung so katastrophal auszustatten.

Solange ich in Wien mit 50 Journalistinnen und Journalisten meiner Generation in einem Raum sitzen kann, von denen 44 so miserabel verdienen, dass sie beim Würstelstand bestochen werden könnten, will ich von ihren Chefitäten nichts mehr hören von Moral und Anstand in der Politik.

Paul Aigner

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Hinweis: Der Beitrag von Paul Aigner ist zuerst auf seinem privaten Blog "Querschrift" erschienen.