Vermischtes
Newsroom – Björn Czieslik

„WochenDOsis“ statt Druck: Wie die WAZ den Lokaljournalismus neu denkt

„WochenDOsis“ statt Druck: Wie die WAZ den Lokaljournalismus neu denkt Michael Krechting (Foto: Jakob Studnar / Funke)

Dortmund war ein weißer Fleck auf der WAZ-Landkarte. Jetzt will der Verlag es digital wissen: Mit dem Newsletter WochenDOsis startet ein ungewöhnlicher Lokaljournalismus-Versuch – ohne Print, aber mit Anspruch.

Dortmund – Seit Mitte Juli experimentiert die WAZ mit dem wöchentlichen Newsletter WochenDOsis – wie Lokaljournalismus abgekoppelt vom Produktionsdruck einer täglichen Zeitung funktionieren kann. Ein kleines Team bearbeitet fokussiert und nahbar Themen der Ruhr-Metropole abseits der Tagesaktualität. Zielgruppe sind insbesondere Menschen in der „Familienphase“, mit denen das WochenDOsis-Team auch in den Dialog treten will. turi2-Redakteur Björn Czieslik hat mit Michael Krechting über das Projekt gesprochen. Der Beitrag ist Teil der „Themenwoche Zeitungen“ bei turi2.


„Wir müssen diesen blinden Fleck Dortmund in unserer digitalen Strategie mit mehr Leben füllen“, sagt Krechting über die Grundidee. Es ist nicht so, dass Dortmund-Themen in der WAZ bisher nicht vorkämen. Überregional relevante Themen aus der Stadt kommen von Journalistinnen und Journalisten aus der Mantelredaktion. Für alles rund um den Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund gibt es eigene BVB-Reporter. Nur eine eigene Lokalredaktion gab es lange nicht mehr.


In diese Lücke stößt nun die WochenDOsis, ein wöchentlicher Lokal-Newsletter mit Social-Media-Anbindung. Die sechsköpfige Lokalredaktion besteht aus jungen sowie erfahrenen Medienschaffenden – Eingeborene und Zugezogene –, fünf der sechs Teammitglieder sind Frauen.


Jeden Mittwochmorgen um 6.00 Uhr erscheint der WochenDOsis-Newsletter, der jeweils ein lokales Thema in den Mittelpunkt stellt und aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. In den vergangenen Wochen waren das zum Beispiel: Kinderärzte am Limit, illegale E-Zigaretten, die Einschulung, Sicherheit in der Stadt oder die Kommunalwahl in NRW. Die Besonderheit: Das Hauptthema wird im Newsletter nicht nur angeteasert, sondern auserzählt. Newsletter-Empfänger lesen hier, was erst später auf waz.de steht – teilweise hinter der Paywall. Erst für verwandte Themen oder Social-Media-Inhalte ist ein Klick auf einen Link nötig. Neben dem Hauptthema bietet der Newsletter auch einen Überblick lokaler News der Woche, Stadtgeschichten, Gastro- und Freizeittipps.


Auffällig ist, dass viele Absätze im Newsletter mit einem Emoji beginnen. Außerdem duzt das Team die Leserinnen und Leser. Im Editorial zeigt sich jeweils ein Redaktionsmitglied mit Bild. „Wir wollen nahbar und ansprechbar sein“, sagt Krechting.


Zielgruppe der WochenDOsis sind Menschen in der „Familienphase“ zwischen 35 und 45 Jahren, aber auch Menschen ohne Kinder, die in Dortmund leben oder arbeiten und sich für Politik und Kultur in der Stadt interessieren. „Dortmund ist eine junge, bunte, sehr lebendige Stadt“, erklärt Krechting. Als größte Stadt des Ruhrgebiets, die auch Wissenschaftsstandort und Sitz großer Unternehmen ist, sei Dortmund auch ein „Magnet“ für Menschen aus anderen Städten der Region. „Die kennen alle die WAZ, weil sie bei ihren Eltern oder Großeltern früher auf dem Tisch lag“, ist Krechting überzeugt. „Wir müssen diese Menschen jetzt wieder mit unserer Marke in Berührung bringen – und sie moderner aufladen.“


Befreit von Print-Produktion
Dazu gehört auch, dass die Dortmunder Lokalredaktion „von allen Produktionsprozessen in Bezug auf Print befreit“ ist. Sie muss also nicht jeden Tag eine Zeitung füllen, sondern kann sich aufs Digitale konzentrieren, ohne täglichen Redaktionsschluss arbeiten – eher wie ein Wochenmagazin. „Wir verstehen die Redaktion in Dortmund und das WochenDOsis-Projekt intern auch als eine Art Modellredaktion für Lokaljournalismus“, erklärt Krechting.


Für das Redaktionsteam, das aus dem tagesaktuellen Journalismus kommt, war das erst einmal eine Umstellung, erinnert sich Krechting: etwa, dass Beiträge nicht erst kurz vor knapp fertig sein sollten oder dass ein Thema nicht unbedingt immer in Textform umgesetzt werden muss – alternativ auch mal als Video oder in Form kurzer Social-Media-Clips. „Social-to-Newsletter“ lautet die Devise. Ein Instagram- und ein TikTok-Kanal sowie eine WhatsApp-Community sollen auch zwischen den wöchentlichen Newslettern für Leserbindung sorgen und zeigen, woran die Redaktion gerade arbeitet.


Zäher Aufbau einer Community
Beim Community-Aufbau ist das WochenDOsis-Team noch am Anfang. „Wir kriegen positiven Rückenwind, aber noch keine stürmische Liebe“, fasst es Krechting diplomatisch zusammen. Der Instagram-Kanal ist nach acht Wochen auf rund 5.000 Follower gewachsen. Von Ausnahmen abgesehen, bekommen die meisten Beiträge Likes im zweistelligen Bereich und einzelne Kommentare.

 

Auch in der WhatsApp-Community ist es mit etwa 50 Teilnehmenden bisher eher ruhig. „Fragen Sie sich selbst: Würden Sie in eine WhatsApp-Community reingehen, wo Sie die Menschen noch gar nicht richtig kennen? Ab wann beteiligt man sich da?“, gibt Krechting zu bedenken. „Wir haben versucht, mit einem Wumms zu starten. Das ist uns auch gelungen – aber ein Learning wäre, dass wir die einzelnen Stufen vielleicht hätten unabhängiger voneinander zünden können.“


Um in Dortmund bekannter zu werden, sei es nun wichtig, „mehr Community-Aufbau im echten Leben zu betreiben“ und dort sichtbar zu sein, wo die Zielgruppe sich aufhält. Krechting denkt etwa an Marketing auf Brötchentüten und daran, das Projekt bei Veranstaltungen vorzustellen. „Wir müssen das mit Reallife-Events verbinden, damit diese Community wirklich zum Leben kommt.“ Bei Instagram und TikTok sei das Credo: „Wir wollen noch mehr Dortmund-Lebensgefühl zeigen.“


Leserbindung durch Lösungen
Dazu gehören Themen, die für die Zielgruppe wichtig sind – etwa Stadtverkehr oder Infrastruktur für Familien –, aber auch lösungsorientierter Journalismus wie: „Was sind die besten Arbeitgeber für mich?“, „Welche Schule ist die richtige für mein Kind?“ oder „Warum geht es bei der Renovierung der Schwimmbäder nicht voran?“.


Der Anspruch der WochenDOsis ist es, damit ein Angebot zu machen, „das den Menschen in ihrem Alltag hilft, sich besser in Dortmund zurechtzufinden“ – und damit auch „der Türöffner in die WAZ-Plus-Welt“ zu sein, erklärt Krechting. Und er glaubt: „Wenn wir es schaffen, dieses Versprechen einzulösen, dann löst das auch eine Zahlungsbereitschaft aus.“


Hintergrund
Die Beziehung zwischen Dortmund und der Funke Mediengruppe ist nicht ganz unbelastet. Früher – als Funke noch WAZ-Mediengruppe hieß – war ihre große Lokalzeitung in Dortmund die Westfälische Rundschau. Daneben war auch die WAZ immer in Dortmund vertreten. Die Westfälische Rundschau gibt es als Zeitungstitel heute noch, seit mehr als zehn Jahren aber ohne eigene Redaktion. Im Frühjahr 2013 wurde die Zeitung überraschend abgewickelt, 120 Beschäftigte in der Redaktion verloren ihre Jobs. Die Mantelseiten kommen seitdem vom Funke-Content-Desk in Essen, lokale Inhalte liefern andere Zeitungen und Verlage zu – in Dortmund etwa Lensing Media, Herausgeber des lokalen Konkurrenten und Marktführers Ruhr Nachrichten. Immer wieder war in diesem Zusammenhang von einer „Zombie-Zeitung“ die Rede.