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Hass-Kommentare: Wie Journalistinnen und Journalisten ihnen am besten begegnen

Hass-Kommentare: Wie Journalistinnen und Journalisten ihnen am besten begegnen Mediencoach Attila Albert

Verletzende, verleumderische oder aggressive Kommentare auf Social Media und unter Online-Artikeln sind ein Problem für die meisten Medien. Eine neue Studie hat verglichen, welche Strategie messbar am effektivsten ist. Doch sie erfordert viel Überwindung, sagt Mediencoach Attila Albert.

Berlin – Wer regelmäßig die Kommentare in sozialen Netzwerken oder unter Online-Artikeln liest oder gar moderieren muss, verliert leicht den Glauben an die Menschheit. Oder zumindest an den Fortschritt. In den Anfangsjahren des Internets hatten viele noch idealistisch geglaubt, dass die Menschen durch den leichteren Zugang zu Informationen gebildeter und damit auch insgesamt besser würden. Stattdessen sind, neben vielen positiven Erscheinungen, alle menschlichen Schwächen weiter dabei: Rechthaberei, Streitsucht, Eitelkeit, Neid und vieles mehr. Wie sollen Medienprofis damit umgehen?

 

Forscher der ETH und der Universität Zürich untersuchten kürzlich anhand von Interaktionen mit 1300 Twitter-Nutzern, welche Strategie die beste sein könnte. Ergebnis: Nur eine war überhaupt erfolgreich – nämlich empathisch zu widersprechen. Etwa darauf hinweisen, dass der Kommentar andere verletzt. Nur die Nutzer, die auf diese Weise angesprochen wurden, verschickten in den darauffolgenden vier Wochen weniger negative Tweets (minus 33 Prozent) und löschten unangemessene Tweets häufiger selbst wieder (plus 40 Prozent). 15 Prozent antworteten auch, „die meisten anständig, manche sogar entschuldigend“.

 

Keinen Erfolg hatten dagegen zwei andere Strategien: Warnungen an die Nutzer, etwa vor Konsequenzen, und humorvolle Reaktionen. Der wahrscheinliche Grund dafür ergibt sich aus einer früheren Auswertung von einer halben Million Online-Kommentaren: Wer aggressive, bösartige oder verleumderische Bemerkungen schreibt, tut das meist, weil er sich im Recht fühlt. Er glaubt typischerweise, mit seinen harschen Worten eine moralische Pflicht zu erfüllen und andere zu mobilisieren, um einen Missstand zu bekämpfen. Daher werden „Hass-Kommentare“ auch meist unter vollem Namen verfasst, nicht etwa anonym.

 

Empathie fällt häufig schwer

Das Ergebnis kann nicht überraschen. Praktisch alle Weisheitslehrer, von König Salomo über Jesus bis Gandhi, weisen seit Jahrtausenden darauf hin, dass es empfehlenswerter ist, Konflikte zu entschärfen, als sie durch Gegen-Aggression oder Spott weiter anzufachen. Auch im Klassiker „Wie man Freunde gewinnt“ von Dale Carnegie, 1936 erschienen, die gleiche Empfehlung: Lieber Feinde für sich einnehmen und zu Freunden machen. Doch das fällt vielen schwer. Sie wollen lieber Recht behalten, „klare Kante zeigen“, „dagegen halten“. Das überzeugt zwar kaum jemanden, sorgt aber für Beifall der Gleichgesinnten und gibt einem selbst die angenehme Bestätigung, dass es am anderen liegen muss.

 

Mir gefiel immer die Empfehlung, die Wikipedia – wo ich einmal Vorstand war – für die oft hitzigen Diskussionen unter seinen ehrenamtlichen Autoren entwickelt hat: „Geh von guten Absichten aus.“ „Es gilt die Annahme, dass alle Mitarbeiter (...) im Grundsatz unserem Projekt helfen und nicht schaden wollen. Bringe also bitte den anderen Autoren jeweils immer möglichst viel Wohlwollen entgegen.“ Ein Vertrauensvorschuss also, sogar mehr: Die Annahme, dass der andere das – aus seiner Sicht – Beste wollen könnte. „Es ist nie notwendig, anderen Benutzern böse Absichten vorzuwerfen, selbst dann nicht, wenn böse Absichten als offensichtlich erscheinen.“ Leicht ist das allerdings nicht.

 

In meinem Buch „Ich mach da nicht mehr mit“ schreibe ich über den hohen Preis eigener Nachsicht: „Vergeben ist der einseitige Verzicht auf etwas, das einem zusteht – Genugtuung, Schadenersatz, vielleicht sogar Rache. Dem anderen wenigstens noch einmal richtig die Meinung sagen, zurückschlagen, auf raffinierte Weise vergelten. Wer vergibt, tut aus freiem Willen nichts davon und muss noch davon ausgehen, dass die andere Person das als Schwäche belächelt, wenn sie überhaupt davon erfährt und es sie interessiert.“ Wer auf einen „Hass-Kommentare“ empathisch reagieren soll, ist in der gleichen Situation.

 

Bei der Reaktion doppelt gefordert

Trotzdem lohnt es sich, seinen – naturgemäß begrenzten – Teil für eine angenehme und konstruktive Gesprächskultur zu tun, digital wie übrigens auch persönlich. Das ist recht anspruchsvoll. Empathie ist die Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen. Sie wird bei der effektivsten Strategie gegen verletzende, verleumderische oder aggressive Kommentare zweifach gefordert: Bei demjenigen selbst, der empathisch reagieren soll (z. B. Social-Media-Redakteur, Moderator), und anschließend beim angemessen formulierten Appell an die Empathie des Kommentarschreibers.

 

Eine messbar effektive Reaktion auf einen rassistischen Kommentar war der Studie zufolge zum Beispiel: „Afroamerikanern tut es wirklich weh, wenn Menschen solche Ausdrücke verwenden.“ Wer so antwortet, macht sich verletzlicher als mit gefühlt klareren Reaktionen: Straffen Gegenworten, Drohungen oder sarkastischen Witzeleien (wenn der Kommentar nicht sowieso einfach gelöscht wird). Denn er könnte belächelt oder gar nicht ernst genommen werden. Gleichzeitig ist das der einzig wirksame Weg, das überhitzte Gesprächsklima abzukühlen. Ein positives Vorbild sein, auch wenn es schwerfällt.

 

Eine hilfreiche Lektion in Demut ist dabei der Blick auf die eigenen Social-Media-Aktivitäten. Wer ehrlich ist, muss sich eingestehen, dass auch die eigenen Beiträge und Kommentare manchmal schärfer ausfallen, als man sie mit mehr Nachdenken geschrieben hätte. Dass man manches (z. B. Fehler von anderen) böswillig ausgelegt hat, schon dem Effekt zuliebe. Bissig kommentiert, alle haben gelacht und applaudiert. Wie viel mehr Nachsicht verdient da ein Leser, der weder professionell schreibt noch die Wirkung seiner Beiträge mit viel Erfahrung abschätzen kann. Einzelne wird man immer sperren müssen, doch die meisten sind zwar keine einfachen, aber treue und engagierte eigene Nutzer.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: 5 Themen, die Journalistinnen und Journalisten jetzt beschäftigen

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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