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Flucht in die Krankschreibung: Wie es für Medienprofis danach weitergehen kann

Flucht in die Krankschreibung: Wie es für Medienprofis danach weitergehen kann Attila Albert

Viele Medienprofis sind seelisch erschöpft, fühlen sich auch körperlich geschwächt. Der Krankenschein verschafft Ruhe und Abstand, ist aber keine Dauerlösung. Mediencoach Attila Albert sagt, wie Sie mit neuer Zuversicht an Ihre Zukunft gehen.

Berlin – Gelegentlich kam es in meiner Coaching-Praxis immer vor, dass sich Medienprofis für eine Beratung anmeldeten, die krankgeschrieben zu Hause saßen und dort über ihre berufliche Zukunft nachdachten. Tatsächlich fühlten sie sich körperlich und seelisch nicht gut. Mussten eventuell auch eine medizinische Behandlung (z. B. kleinere OP) vornehmen lassen. Aber der Hauptgrund für ihre manchmal monatelange Krankmeldung zeigte sich im vertraulichen Gespräch: Es war der einzige Weg, den sie noch gesehen hatten, um sich Konflikten am Arbeitsplatz zu entziehen (Streit mit Vorgesetzten, Überlastung, Mobbing).

 

Inzwischen hat das weit um sich gegriffen. Manche Journalisten sind seit Monaten daheim, gelegentlich mitsamt der ganzen Familie. Viele bewegen sich erkennbar verlangsamt, sind durcheinander und unzuverlässig selbst bei einfachsten Erledigungen. Einige fühlen sich sogar zu schwach, um noch länger einer Videokonferenz folgen zu können. Besonders fatal ist das bei Arbeitssuchenden und Selbstständigen, von denen viele resigniert, fast apathisch wirken. Nur das Allernötigste wird noch erledigt, nichts Neues mehr angefangen oder riskiert. Selbst, wenn es vielleicht nur noch wenige Monate so weitergehen kann.

 

Rekordstand bei den Krankmeldungen

Die Zahlen bestätigen den Eindruck. Im dritten Quartal 2022 erreichten die Krankmeldungen den Rekordstand von bis zu 7,7 Prozent der Berufstätigen. Für ein mittelständisches Medienhaus mit 800 Mitarbeitern bedeutet solch ein Durchschnitt: 62 Kollegen fehlen. Zusätzlich zu den regulären Abwesenheiten (z. B. wegen Urlaub, Weiterbildung). Auch die häufigsten Gründe lassen aufmerken: Psychische Erkrankungen und Erkältungen (jeweils plus 34 Prozent gegenüber Vorquartal), nicht etwa Covid-19-Erkrankungen. Am häufigsten krank meldeten sich junge Frauen zwischen 20 und 24 Jahren (35,6 Prozent).

 

Das überlastet auch diejenigen, die noch arbeiten und zusätzlich die Aufgaben ihrer Kollegen übernehmen müssen. Manche Redakteure kommen seit dem Sommer kaum noch dazu, eigene Beiträge zu schreiben. Stattdessen vertreten sie in anderen Ressorts, stellen vielfach nur noch Agenturtexte auf die Seiten, wo sonst eigene Inhalte ständen. Wenn Sie gerade in dieser Lage sind: Setzen Sie Grenzen, um selbst gesund zu bleiben. Leisten Sie einige Zeit 120 Prozent, müssen es zum Ausgleich dann wieder nur 80 Prozent sein. Sie können nicht ewig alles ausgleichen. Es ist Ihrem Arbeitgeber zuzumuten und auch schnell organisierbar, bei Bedarf mehr an Freie oder Redaktionsbüros zu vergeben.

 

Auf die eigene Zukunft konzentrieren

Wenn Sie bereits lange - oder mehrfach in Folge – krankgeschrieben sind: Möglicherweise ist Ihnen schon klar, dass Sie nicht mehr zurückkehren werden. Weil Sie Ihren Job bzw. seine Umstände unerträglich finden oder gar nicht mehr bewältigen können. Solch ein Eingeständnis sich selbst gegenüber ist wichtig. Denn damit wissen Sie, dass Sie – statt Genesung und Rückkehr - neue Ziele haben: Wieder zu Kräften kommen, dabei schon schrittweise Alternativen vorbereiten und den alten Arbeitsplatz unter möglichst guten Umständen verlassen (erweiterte Gehaltsfortzahlung, Abfindung, gutes Zeugnis).

 

Sicher ist es hilfreich, sich gedanklich einmal mit Krisen und persönlichen Umbrüchen zu beschäftigen, die aktuelle Lage zu überdenken und auch ein wenig zu betrauern. Das klärt vieles, tröstet und beruhigt. Eventuell hilft Ihnen mein aktuelles Buch dazu. Aber halten Sie sich nicht ewig damit auf, ebenso nicht mit Vorwürfen an sich, den Chef und Arbeitgeber. Sondern konzentrieren Sie sich, so weit es Ihnen möglich ist, auf Ihre Zukunft: Wie soll es für Sie weitergehen? Selbst, wenn Sie sich gerade schwach, verunsichert oder hilflos fühlen, können Sie jeden Tag eine Kleinigkeit dafür tun, dass sich das wieder ändert.

 

Sich trotz allem wieder am Leben freuen

Fördern Sie den Blick auf Ihre eigenen Angelegenheiten und eine zuversichtliche Weltsicht. Vermeiden Sie dafür privat Nachrichtensendungen und Talkshows sowie stark polarisierende Meinungsbeiträge und einseitig gehaltene Bücher voller Empörung und Schuldzuweisungen. Wenn Sie ein Thema (z. B. ein aktueller Konflikt) beschäftigt, lesen Sie lieber den Wikipedia-Artikel oder ein ausgewogenes Sachbuch dazu. So lernen Sie etwas, das über den Tag hinaus Bestand hat. Sie werden nicht ständig neu aufgewühlt und abgelenkt, wie es bei Fernsehen und Videos der Fall ist, betrachten die Dinge ganzheitlicher.

 

(Wenn Sie selbst lösungsorientierter berichten wollen, finden Sie praxisnahe Empfehlungen und Fallbeispiele dazu im Journalisten-Werkstatt-Heft „Konstruktiver Journalismus“).

 

Das gilt analog für die private Nutzung sozialer Medien. Ein Anfang ist auch hier, nicht mehr bei der gesamten Weltgeschichte mitzureden, von den Brexit-Folgen bis zur China-Politik, „die Gesellschaft neu denken“ und „die Erde retten“ zu wollen. Konzentrieren Sie sich auf das praktisch Machbare in Ihrem Umfeld, anstatt sich mit anderen über etwas zu streiten, wo Sie beide nichts zu entscheiden haben. Erst einmal das eigene Leben in Ordnung haben, ehe man sich für global zuständig erklärt. Wenn es andere tun: Reden lassen. Vergeuden Sie Ihre Zeit und Kraft nicht länger für sinnlose Auseinandersetzungen.

 

Suchen Sie nach schönen oder lustigen Alternativen, die Sie stärken und ermutigen. Schauen Sie Comedy oder eine Sitcom, hören Sie Musik, gehen Sie ins Museum, tanzen oder raus in die Natur. Erlauben Sie sich wieder mehr Spaß und Lebensfreude, lachen Sie mal wieder. Lassen Sie sich nicht einreden, dass man das heute nicht mehr dürfe, bis Sie selbst nur noch klagen, schimpfen und kritisieren. Wer zuversichtlich, lebensfroh und praktisch herangeht, löst Probleme besser und ist dann auch anderen eine Hilfe. Eventuell dazu: Ein kleines Ehrenamt (z. B. ein- bis zweimal monatlich eine Stunde), um sich gebraucht zu fühlen und nicht immer nur an die eigenen Sorgen zu denken.

 

Haben Sie nur schon ein wenig Klarheit darüber, wie es weitergehen könnte, gehen Sie mit neuer Kraft an die Umsetzung. Vielleicht in neuer Verfassung oder sogar Position zurück in den alten Job. Häufiger aber nicht mehr - oder nur noch für einen kurzen Übergang. Eine persönliche Krise oder gar ein Zusammenbruch weisen darauf hin, dass es jetzt genug ist. Das erzwingt manchmal die Entscheidung, die man selbst nie gewagt hätte: Eine neue Stelle oder die Selbstständigkeit, vielleicht sogar einen ganz anderen Lebensentwurf (Aufgabe, Wohnort). Andere haben das vor Ihnen geschafft, Sie können das auch.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne:  Ich halt‘s hier nicht mehr aus!

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.