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Ausstiegstraum oder Realitätscheck? Wenn Unzufriedene den Neustart wagen

Ausstiegstraum oder Realitätscheck? Wenn Unzufriedene den Neustart wagen Attila Albert

Viele Frustrierte träumen vom radikalen Neustart. Mediencoach Attila Albert erklärt, warum Ausstiegsfantasien oft täuschen – und wie ein realistischer Weg in ein neues Berufsleben aussieht.

Berlin – Viele Berufstätige, die unzufrieden sind, fühlen sich gefangen in ihrem Job. „Kleinere Teams, zu viele Aufgaben und Gehälter, die nicht mehr zu den Lebenshaltungskosten passen, sorgen dafür, dass mehr als zwei Drittel innerlich bereits gekündigt haben“, beschrieb Die Welt das vor einigen Tagen. „Auf dem Arbeitsmarkt wartet auf sie aber eine unangenehme Überraschung.“ Nämlich: weniger offene Stellen, eine Vielzahl weiterer Bewerber, enorme Hürden schon im Bewerbungsprozess, mäßige Gehaltsangebote – oder gleich die nächste Absage. Der erhoffte berufliche Neustart wird zur nächsten Frustquelle und lässt einen grundsätzlich zweifeln: Wieso tue ich mir das überhaupt noch an?


Für manche scheint dann ein Ausweg nahezuliegen: der Ausstieg „aus dem Hamsterrad“ oder „aus dem System“, genauer gesagt, aus der bisherigen Angestelltentätigkeit in der klassischen Privatwirtschaft. Da in der Lebensmitte zudem meist Wünsche nach mehr Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung dazukommen, gehen die Gedanken häufig in Richtung helfende Berufe (z. B. Psychologie, NGO, Lebensberater oder Coach werden) oder zu kreativen Tätigkeiten (z. B. Gemeinschaftsatelier für Künstler aufbauen, Romanautor, YouTuber oder Podcaster werden). Die Verkäufer entsprechender Aus- und Weiterbildungen bestätigen selbstverständlich, dass das sinnstiftende und vielversprechende Wege seien.


Teilzeit oder als Nebenjob nur für den Übergang
Allerdings wird den Betroffenen bald selbst klar, dass das wohl nicht ausreichen wird, um die eigenen Lebenshaltungskosten zu decken – spätestens dann, wenn sie schon allerlei Ausgaben für ihren Lebenstraum hatten (Kursgebühren, Werbefotos, Webseite), ohne dass ihnen relevante Einnahmen gegenüberstünden. Die vermeintliche Lösung hierfür: Quersubventionierung. Im Einzelfall, indem der Partner nun die Hauptkosten trägt oder eine Erbschaft dafür verwendet wird. Ansonsten: eine Arbeit annehmen, die man eigentlich gar nicht möchte, um sich leisten zu können, was man sich ersehnt (z. B. in Teilzeit bleiben, obwohl man kündigen wollte; PR-Aufträge, um daneben Bücher schreiben zu können).


Für eine gewisse Übergangsphase, etwa sechs bis zwölf Monate, ist das ein sinnvoller und bewährter Ansatz. Er hat aber auch gravierende Nachteile: Man ist ständig hin- und hergerissen, hat andauernd Termin- und Interessenkonflikte (auch gegenüber dem Arbeitgeber und den ersten Kunden) und kann sich nie ganz auf sein wirkliches Ziel konzentrieren. Mehr noch: Dieser Ansatz verhindert, dass man seine neue Tätigkeit wirklich unternehmerisch und ernsthaft angeht, es also mehr als ein Hobby mit Potenzial wird. Denn auch die genannten Tätigkeiten sind Teil der Privatwirtschaft, müssen also Einnahmen erzielen, die die Kosten decken und zudem einen angemessenen Gewinn einbringen.


Lebenshaltungskosten senken reicht nicht
Häufig wollen sich die Betroffenen dieser finanziellen Herausforderung entziehen, indem sie ihre Lebenshaltungskosten (weiter) reduzieren. Typische Ideen: der Umzug aufs Land, in ein geerbtes Häuschen oder ins kostengünstigere Ausland, der Wechsel von einer Wohnung in eine Laube oder einen Wohnwagen („Tiny House“). Bald zeigen sich aber auch hier echte Nachteile. Meistens: mangelnde Infrastruktur (z. B. instabile Internetverbindung) und schlechte Verkehrsanbindung, was persönliche Präsentationen und Verhandlungen sowie Kundentermine erschwert oder fast unmöglich macht. Auch hier gilt: Die Grundidee – die persönlichen Kosten überprüfen und bei Bedarf senken – ist gut, hat aber ihre Grenzen. Im Zentrum muss das Steigern des Umsatzes bzw. Einkommens stehen.


Wer all das ignoriert – und das ist auch unter Medienprofis nicht selten – hat oft bereits vier- bis fünfstellige Summen ergebnislos ausgegeben und sich dadurch umso mehr an seinen ungeliebten Job gebunden oder verschuldet. Klassischer Fehler dann: das Problem der zu geringen Einnahmen lösen zu wollen, indem man noch mehr Weiterbildungen bucht, wenn es stattdessen wichtiger wäre, Unternehmensidee, Zielgruppe und Angebot kritisch zu überprüfen und anzupassen. Grundsätzlich sollten Investitionen wie eine selbst bezahlte Weiterbildung erst mitsamt einer Rendite (Gewinn) wieder zurückverdient sein, ehe man die nächste angeht. Mangelnder Umsatz hängt selten an einem Zertifikat.


Als Branchen- oder Berufswechsel anlegen
Einzelne, die vermögend sind bzw. nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen, können es sich leisten, Ausstiegsfantasien nachzuhängen und bestimmte Berufe (z. B. Psychologe, Berater, Künstler) zu romantisieren, ohne deren tatsächlichen Realitäten und Herausforderungen zu erkunden. Der Mehrheit ist zu empfehlen, den gewünschten „Ausstieg“ eher als Branchen- oder Berufswechsel anzulegen: Man bleibt Teil der Wirtschaft, so lange man arbeiten muss. Daher ist vorab genau zu klären: Wie sieht der vermeintliche Traumberuf wirklich aus, was braucht es dafür, wie ist die Nachfrage von Arbeitgebern bzw. Kunden, was sind typische Einnahmen und Ausgaben? Hospitanzen und Gespräche mit denen, die etwas Vergleichbares schon geschafft haben, helfen weiter.


Möglicherweise kommt man bei diesem Realitätscheck zur Überzeugung, dass man seine Energie doch versuchsweise auch noch einmal an bisheriger Stelle einsetzen könnte: die aktuelle Position neu gestalten, sich intern oder anderswo in der Branche bewerben, diesmal aber überlegt und besser vorbereitet. Man muss nicht zwingend Psychologe werden, um anderen zu helfen, nicht Künstler sein, um kreativ zu arbeiten, sondern kann das auch heute noch in vielen Tätigkeitsfeldern in den klassischen Medien sowie zusätzlich in angrenzenden Bereichen (z. B. Corporate Publishing, Content Marketing, PR). Nur wird man zukünftig auf bestimmte Faktoren stärker achten und sich anders positionieren.


Es ist immer möglich, einen unangenehmen Arbeitgeber bzw. eine problematische Stelle zu verlassen und sich ein neues Tätigkeitsfeld zu erschließen, das in mehreren Aspekten (z. B. Einkommen, Arbeitsinhalte, Kollegen) besser passt. Aber solch ein Vorhaben ist nichts für Träumer, sondern für Realisten mit einer Vision: Sie sehen klar, wo sie stehen, wohin sie wollen und was ihnen bisher dafür fehlt. Dafür braucht es immer eine auch wirtschaftlich tragfähige Idee und einen Plan, also Substanz und Struktur, damit es nicht bei ziellosem Aktionismus bleibt, der sich schnell erschöpft. Auch die Alternative wird wieder ein Beruf mit Vor- und Nachteilen sein – dann aber welche, die einem mehr entsprechen.

 

Zur vergangenen Kolumne: Fünf typische Job-Fallen

 

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der Freien Presse, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA.

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