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Sprachstreit in Redaktionen: Was tun, wenn mein Beitrag umgeschrieben wird?

Sprachstreit in Redaktionen: Was tun, wenn mein Beitrag umgeschrieben wird? Attila Albert

Von Gendersprache bis „Kijw“: Das Ringen um Begriffe – und damit verbundene Deutungen – hat inzwischen fast jedes Ressort erfasst. Wie wehren sich Journalisten, die ihre Beiträge nicht umgeschrieben sehen wollen? Mediencoach Attila Albert gibt Antworten.

Berlin – Eine freie Auslandskorrespondentin hatte ihrer Redaktion einen Text geliefert, in dem sie von „Flüchtlingen“ sprach. Als er erschien, stellte sie fest: Der Begriff war durchgehend – und ohne Rückfrage - in „Geflüchtete“ geändert worden. Das fand sie grammatikalisch falsch und der Politik- und NGO-Welt zugehörig, nicht aber dem Journalismus. Ein PR-Manager erhielt seinen Entwurf für einen Redebeitrag zurück: Die Anrede „Sehr geehrte Damen und Herren“ sei nicht mehr „inklusiv“ genug. Es solle jetzt „Liebe Teilnehmende und Gäste“ heißen. Für ihn klang das sperrig und gekünstelt, nie würde er andere so begrüßen.

 

Seit sich viele Redaktionen und Kommunikationsabteilungen zumindest sprachlich dem Aktivismus angenähert haben („Haltung zeigen“), wird um ideologisch besetzte Begriffe gerungen wie lange nicht mehr. Haben in Parlamenten naturgemäß unterschiedliche Ansichten ihren Platz, ist das in einem Vertragsverhältnis anders: Der Arbeit- bzw. Auftraggeber entscheidet letztendlich. Für den einzelnen Medienprofi, der sich daran stört, aber finanziell abhängig ist, stellt sich die Frage: Wie damit umgehen - wie viel Widerstand ist angemessen, wo würde man sich selbst schaden und doch nichts verändern?

 

Auf eine Vielzahl von Themengebieten ausgedehnt

Besonders hitzig wird diese Debatte um die Gendersprache geführt: Die Ablehnung des bisher üblichen generischen Maskulinums (z. B. „Studenten“) als Form, die ausdrücklich kein biologisches Geschlecht spezifiziert, daher aber eben auch Frauen nicht explizit nennt. Unterschiedlichste Alternativen sollen diese vermeintliche Ungerechtigkeit ausgleichen: Umgewidmete Partizipien („Studierende“), Doppelnennungen („Studentinnen und Studenten“), Wortbildungen mit Doppelpunkten, Sternchen oder Unterstrichen, gar die Umdrehung des bisherigen Gebrauchs („Studentinnen“ für eine gemischte Gruppe).

 

Ein ganz anderes Beispiel: Bild – einst dafür bekannt, die redaktionell nicht akzeptierte DDR in Anführungszeichen zu setzen – kündigte zum Beginn des Ukraine-Krieges an, Putin nicht mehr als den russischen Präsidenten zu bezeichnen. Das verschleiere seine wahre Position. Anstelle der offiziellen Amtsbezeichnung ziehen sich seitdem eigene Bezeichnungen wie „Kreml-Tyrann“, „Russland-Diktator“, „Kreml-Despot“ und „Kriegsherr“ durch die Beiträge. Auch diese Art der Sprachregelung deckt sich nicht mit dem Berufsverständnis des Journalisten als Berichterstatter, der bewusst nicht selbst zum Akteur wird.

 

Das Ringen um Begriffe – und damit verbundene Deutungen – hat sich inzwischen auf fast alle Ressorts ausgedehnt. Politik, Gesellschaft und Kultur, Wissenschaft, Lifestyle und Ratgeber. Sollte man statt „Kiew“ nun „Kijw“ schreiben, „Einwanderer ohne rechtmäßigen Aufenthalt“ oder „undokumentierter Einwanderer“, „Klimawandel“ oder „Klimakrise“, „Jude“ oder besser „Mensch jüdischen Glaubens“? In diesen sprachlichen Umdeutungen spiegeln sich Richtungskämpfe innerhalb der Gesellschaft, aber auch deren Fragmentierung. Eine kaum lösbare Herausforderung insbesondere für Medien mit breiten Zielgruppen (z. B. Tageszeitungen, Publikumszeitschriften, Öffentlich-Rechtliche).

 

Redaktionelle Standards oft nicht formalisiert

Grundsätzlich hat jede Redaktion ihre sprachlichen Standards, wenn sie auch häufig nicht formalisiert sind (z. B. in einem Handbuch, in einer Terminologie, wenigstens in einer Hausmitteilung). So erfolgen Anweisungen, wie etwas zu bezeichnen sei, regelmäßig nur mündlich und oft spontan: Der Herausgeber oder Chefredakteur verkündet die neue Regel in einer Konferenz oder per Anruf. Das wird von den Ressortleitern zur Kenntnis genommen und in ihren Bereichen umgesetzt, konkret an Redakteure und freie Mitarbeiter weitergegeben. In Form von Arbeitsanweisungen. Aber auch beim späteren Bearbeiten.

 

Zwar heißt es meist, es sei „intern intensiv diskutiert“ worden. Letztendlich handelt es sich aber praktisch immer um einen Beschluss von oben. In jeder Belegschaft wird ein Teil ausdrücklich dafür sein, weil er damit als positiv empfundene Ziele unterstützt sieht (z. B. Gleichstellung, Vielfalt, Nachhaltigkeit). Ein anderer Teil wird das ablehnen: Aus einem gewissen Sprachpurismus heraus, weil er die damit verbundenen Ambitionen ablehnt oder generell vom Arbeitsplatz ferngehalten sehen möchte. Der Mehrheit, so mein Eindruck, misst dem Ganzen wenig Bedeutung bei und kann sich mit beidem arrangieren.

 

Rechthaberei vermeiden, pragmatisch bleiben

Wie nun konkret verhalten, wenn ein Beitrag von Ihnen derart verändert wurde, dass Sie ihn so nicht mehr vertreten wollen? Dazu einige Empfehlungen.

  • Reagieren Sie überlegt und ruhig, auch wenn Sie aufgebracht sind. Klären Sie zuerst für sich, welche begriffliche, stilistische oder inhaltlichen Änderungen Sie stören und warum. Damit vermeiden Sie Äußerungen, die Sie später bereuen würden.
  • Bitten Sie immer zuerst freundlich, aber klar um Korrektur, wenn das noch möglich ist (z. B. bei einem Online-Beitrag). Erklären Sie, warum Sie bestimmte Begrifflichkeiten und damit verbundene Positionen nicht mit Ihrem Namen vertreten wollen.
  • Bei einzelnen Beiträgen können Sie auch verlangen, dass Ihre Autorenzeile oder der ganz Beitrag entfernt werden, wenn sich die Redaktion der Korrektur verweigert und Sie nicht mehr dahinterstehen („Das ist jetzt euer Beitrag, nicht mehr meiner.“)
  • Haben Sie ein Gespür dafür, welche Diskussionen sinnvoll sind. Häufig setzen Führungskräfte auch nur um, was ihnen aufgetragen wurde, haben aber gleichzeitig natürlich Spielräume. Vermeiden Sie Rechthaberei, bleiben Sie pragmatisch.
  • Wenn Sie mit bestimmten Redaktionen nicht mehr zusammenarbeiten wollen: Sehen Sie das als Teil (und Preis) Ihrer eigenen Weiterentwicklung. Ärgern Sie sich nicht ewig darüber oder seien Sie enttäuscht. Suchen Sie sich passende neue Partner.

 

Rechtsweg möglich, aber riskant

Grundsätzlich steht Ihnen auch der Rechtsweg offen. Da Sie immer der Urheber Ihres Beitrages bleiben, dürfen Arbeit- oder Auftraggeber ihn nur begrenzt verändern. Wo genau diese Grenze im konkreten Fall liegt, müsste im Zweifel ein Gericht entscheiden. Die Therapeutin und Autorin Sabine Mertens wehrte sich in diesem Jahr erfolgreich gegen das Gendern ihres Artikels für die Zeitschrift Training Aktuell. Der Reporter Christian Jungblut schon 2010 gegen sinnveränderndes Redigieren bei Geo. Doch dieser Weg ist langwierig, teuer und riskant, beendet zudem meist auch die Zusammenarbeit auf unschöne Art.

 

Insgesamt rate ich zu einem moderaten Ansatz. Wenn Ihnen bestimmte Ansichten und Entwicklungen widersprechen, ist die Versuchung groß, sich vor allem mit Abwehr und Kritik zu beschäftigen. Mancher bewegt sich dabei selbst in extremen Positionen und entwickelt eine gewisse Obsession – in der Annahme, nur noch so ausreichend Kontra bieten zu können. Besser ist es in dieser Situation, eigene Überzeugungen und Werte zu klären und anschließend bewusster zu leben. Was bedeutet: Den anderen verstehen lernen, mögliche Kompromisse prüfen, aber auch Grenzen setzen und sich bei Bedarf verändern.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne:Kann ich 15 Prozent mehr Gehalt verlangen?

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.