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Ehemalige AFP-Chefredakteurin Henriette Löwisch: "Wer Leserinnen hat, braucht auch Frauen in der Chefetage"

Als eine der ersten Journalistinnen im deutschen Sprachraum hat Henriette Löwisch die Führungsspitze einer Nachrichtenagentur erklommen. Im NEWSROOM-Interview spricht sie über ihre Erfahrungen, den Konkurrenzdruck bei Nachrichtenagenturen und die journalistische Ausbildung in Deutschland und den USA.

Berlin - Henriette Löwisch, damals 36 Jahre jung, übernahm im Juli 2001 die Chefredaktion von AFP Deutschland. Heute lehrt sie als ordentliche Professorin an der staatlichen University of Montana in Missoula in den USA. Dort unterrichtet sie Reportage, Nachrichten- und Magazinjournalismus. Die University of Montana School of Journalism gilt als eine der ältesten Einrichtungen ihrer Art in den USA. Löwisch, Absolventin der Deutschen Journalistenschule München, bringt es auf eine kurze Formel, was journalistische Ausbildung in den USA ausmacht: "Praxis, Praxis, Praxis!".

NEWSROOM: Frau Löwisch, Sie waren lange Jahre Chefin von AFP Deutschland. Wie haben Sie die Zeit bei der Nachrichtenagentur in Erinnerung?

Henriette Löwisch: Spannend. Stressig. Nachrichtenagentur ist Hochleistungssport. Spaß auf hohem Niveau.

NEWSROOM: Warum sind Sie damals relativ kurzfristig aus dem Tagesgeschäft ausgestiegen?

Henriette Löwisch: Ich bin zwar ein Pflichtmensch, aber ich möchte mit meiner Arbeit auch etwas bewegen. Sobald es hauptsächlich darum geht, Routinen zu bewältigen statt Exzellentes zu ermöglichen, bin ich nicht mehr mit dem Herzen dabei. Dann nehme ich mir die Freiheit, mich neu zu erfinden.

NEWSROOM: Wie erleben Sie die deutschen Medien heute aus den USA? Lesen Sie noch täglich nach, was in Ihrer Heimat passiert?

Henriette Löwisch: Klingt zwar gruselig, aber ich höre vor dem Einschlafen Deutschlandfunk. Die Nachrichten und die Presseschau. Auf meinem Smartphone. Aus der großen Entfernung kommt mir natürlich vieles, was da verhandelt wird, klein-klein vor. Deutsche Innenpolitik, Streitereien in der Koalition, das spielt in den deutschen Medien eine zu große Rolle. Die Auslandsberichterstattung nähert sich dem niedrigen Niveau an, das in den USA seit längerem besteht. Noch ist es aber nicht soweit. Ich höre immer mit großem Interesse, wie die Märkische Oderzeitung oder die Neue Osnabrücker Zeitung die Entwicklungen in Syrien oder Kolumbien kommentieren.

NEWSROOM: In Deutschland tobt ein Kampf der Nachrichtenagenturen. Es vergeht fast kein Tag, an dem nicht ein Gericht ein Urteil fällen muss. War die Konkurrenz eigentlich damals schon so groß?

Henriette Löwisch: Ja. Aber weil die deutschen Medien damals noch mehr Geld für Nachrichten auszugeben bereit waren - nie genug, aber immerhin mehr als heute - drehte sich die Konkurrenz eher darum, wer die besten Inhalte zu bieten hatte. Es war ein journalistischer Wettbewerb und ein Wettbewerb der Innovationen bei Formaten oder Themen. Davon profitierten die Agenturen ebenso wie die Abnehmer und letztlich die Bürger und Bürgerinnen.

 

Henriette Löwisch zählte zu den besten und engagiertesten Agenturjournalistinnen Deutschlands, sie war Chefredakteurin von AFP Deutschland. Heute lehrt sie Journalismus in den USA. Foto: Dietmar Gust

 

NEWSROOM: Während vor allem Journalistinnen sich für eine Quote einsetzen, um Frauen in Führungspositionen zu hieven, waren Sie bereits Anfang der 2000er mit Führungsaufgaben betraut. Wie schwer war es damals als Frau, sich im Mediengeschäft durchzusetzen?

Henriette Löwisch: Es gab da schon lustige Szenen, wie bei einem fast ausschließlich von Männern besuchten Chefredakteurstreffen in Frankfurt, bei dem alle Klischees leibhaftig wurden, einschließlich anzüglicher Bemerkungen in der Hotelbar. Bei AFP hatte ich es als Frau aber nicht schwer, was unter anderem mit dem progressiven Geschäftsführer des deutschen Dienstes, Clemens Wortmann, zu tun hatte, der stets auch auf Frauen in Führungspositionen setzte und dies zum Beispiel auch mit der Möglichkeit von Babypausen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen untermauerte.

NEWSROOM: Halten Sie eine Frauenquote eigentlich für sinnvoll? Oder sollte es eine Quote zum Beispiel auch für Migranten in den Medien geben?

Henriette Löwisch: Wer Leserinnen, Hörerinnen, Zuschauerinnen hat, braucht auch Frauen in der Chefetage. Das müsste eigentlich jeder Verleger kapieren und sich fragen, was eigentlich in seinem Laden los ist, wenn dort vermeintlich oder tatsächlich keine Frauen für solche Positionen zur Verfügung stehen. Das gilt für den Spiegel ebenso wie für den Springer-Verlag. Der Ruf nach einer staatlich verordneten Quote ist ein Armutszeugnis für die Verleger. Allerdings habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass höchst qualifizierte Frauen mitunter nicht für Führungspositionen zur Verfügung stehen, weil es nicht zur Familienplanung passt. Das ist sehr schade und oft frustrierend. Es wird sich erst ändern, wenn Männer genauso lange Erziehungszeit nehmen wie Frauen. Was Migranten im Journalismus angeht, steht für mich die Notwendigkeit von Rollenvorbildern im Vordergrund. Ich glaube, in dieser Hinsicht sind schon einige Fortschritte gemacht worden.

NEWSROOM: Inzwischen sind Sie Journalistik-Professorin in den USA. Wie hat es Sie ausgerechnet nach Montana verschlagen?

Henriette Löwisch: Ich bin eine Art Kriegsgewinnlerin: Als ich das erste Mal nach Montana kam, als Gastprofessorin, habe ich den Job wohl hauptsächlich bekommen, weil die Fakultät ein Interesse daran hatte, mitten im Irak-Krieg eine Journalistin aus Europa mit einem anderen Blick für ein Semester nach Missoula zu holen. Ein paar Jahre später habe ich einen festen Ruf an die University of Montana angenommen, weil die Menschen dort nicht nur sehr offen und neugierig sind, sondern es dort auch eine der traditionsreichsten und besten Journalistenschulen des Landes gibt, in der ausschließlich langjährige Praktiker lehren. Die J-School ist das Gegenteil von staubig. Und natürlich ist in den Bergen von Montana die Luft ansonsten auch sehr gut!

NEWSROOM: Was sind Ihre Aufgaben an der Universität von Montana?

Henriette Löwisch: Ich unterrichte Reportage, Nachrichten- und Magazinjournalismus. Außerdem leite ich das Masters Programm, das auf Umwelt-, Wissenschafts- und Ressourcenjournalismus spezialisiert ist. Ich entwickele gerade "Journalistisches Handwerkzeug für Naturwissenschaftler", einen e-learning-Kurs. Ein weiterer Schwerpunkt sind internationale Fragen: In Kooperation mit der FU Berlin unterrichte ich dieses Semester einen Kurs, in dem die Studierenden testen, ob soziale Medien tatsächlich zu globalem Wandel beitragen können. Mein Forschungsschwerpunkt sind Nachrichtenagenturen.

NEWSROOM: Wie erleben Sie die Journalistenausbildung in den USA? Ist sie vergleichbar mit der universitären Lehre in Deutschland?

Henriette Löwisch: Meine eigene Ausbildung an der DJS, kombiniert mit dem Diplomstudiengang Journalistik in München, war natürlich sehr praktisch orientiert, aber generell scheinen mir viele Studiengänge in Deutschland in dieser Hinsicht etwas unterbelichtet. In den USA ist die universitäre Journalistikausbildung oft praktischer. Das gilt besonders für die University of Montana. Zwar müssen die Studierenden anfangs noch einiges an Allgemeinbildung nachholen, aber im dritten und vierten Jahr ihres Bachelor-Studiums geht es vor allem ums Machen, heißt Schreiben, Fotografieren, Filmen, Produzieren. Mit der hoch professionellen College-Zeitung, die vier Tage die Woche erscheint und mit der örtlichen Regionalzeitung konkurriert, sind die deutschen Uni-Blättchen gar nicht zu vergleichen.

NEWSROOM: Worauf wird in den USA besonderen Wert bei der Ausbildung gelegt?

Henriette Löwisch: Praxis, Praxis, Praxis. Die so genannten neuen Medien spielen eine zentrale Rolle. Es wird erwartet, dass die Studierenden in mehreren Formaten berichten können, also nicht nur schreiben, sondern auch multimediale Techniken anwenden und soziale Medien zur Recherche und Verbreitung von Nachrichten nutzen.

NEWSROOM: In den USA sind die klassischen Medien wie Tageszeitungen in noch größerer Bedrängnis als in Deutschland, erste Tageszeitungen wurden bereits geschlossen oder komplett ins Internet verlegt. Welche Trends lassen sich aus Ihrer Sicht für den deutschsprachigen Medienmarkt ableiten? Was kommt auf uns in Europa noch zu?

Henriette Löwisch: Zwar sind die europäischen Mediennutzer etwas konservativer, hängen noch mehr an ihrer gedruckten Zeitung. Letztlich aber werden meiner Ansicht nach auch in Deutschland oder Österreich die Zeitungen ins Netz beziehungsweise aufs Tablet wandern. Für Journalisten bedeutet das, dass sie ihr professionelles Profil schärfen, sich mehr als Unternehmer verstehen müssen, um erfolgreich zu sein. Und: Nur die aller begnadetsten Schreiber werden sich in Zukunft weigern können, mit dem Smartphone auch Fotos oder Videos zur Zeitung beizusteuern. Facebook ignorieren wird gar nicht mehr gehen. 

NEWSROOM: Glauben Sie eigentlich, dass es inzwischen zu viel Journalismus gibt? Überall gibt es im Internet schließlich etwas zu lesen, zu hören oder zu betrachten!

Henriette Löwisch: Na ja, nicht alles was im Internet zu betrachten ist, ist Journalismus. Geprüfte Fakten und gut erzählte Geschichten wird es nie genug geben.

NEWSROOM: Welche Aufgabe im deutschsprachigen Mediengeschäft könnte Sie eigentlich reizen, wieder eine aktive Rolle als Journalistin zu übernehmen?

Henriette Löwisch: Hmmh. Mit einem abwechslungsreichen Job, der es mir sogar erlaubt, jeden Sommer zwei, drei Monate in Berlin zu verbringen, stelle ich mir diese Frage eigentlich nicht. Sagen wir, ein wirklich innovatives Projekt, das anspruchsvollen Journalismus mit digitalem Storytelling verbindet, würde mich vielleicht ins Nachdenken bringen. Da müsste aber ordentlich Geld und Handlungsspielraum dahinter stecken. Sparprogramme habe ich genug durchgezogen.

NEWSROOM: Aber Sie planen zum Beispiel nicht, bei der geplanten deutschen Ausgabe der "Huffington Post" Arianna Huffington zu unterstützen?

Henriette Löwisch: Hahaha! Ich wünschte ich hätte so viel Kapital wie Arianna, dann würde ich ihr das Fürchten lehren.

Die Fragen an Henriette Löwisch, Journalistik-Professorin an der University of Montana in der knapp 68.000 Einwohner zählenden Stadt Missoula, stellte NEWSROOM-Chefredakteur Bülend Ürük

NEWSROOM-Tipp: Besuchen Sie hier die Website der University of Montana School of Journalism, mehr über Henriette Löwisch finden Sie hier.

 

 

 

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