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Kriegsreporter Martin Lejeune: "Eine schusssichere Weste würde mir schon helfen"

Der freie Journalist Martin Lejeune gehört zu den wenigen deutschen Reportern, die derzeit direkt aus Syrien berichten.

Damaskus - Über das finanzielle Dasein als freier Journalist, der Frage, ob vielleicht eine Stiftung seine Arbeit unterstützen könnte, seinen Unmut "über die Schreibtisch-Täter" in deutschen Redaktionen und der Wichtigkeit, direkt im Land zu sein und zu recherchieren, sprach er mit Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Selbst in Damaskus nicht sicher

Newsroom.de: Herr Lejeune, in Syrien herrscht Krieg. Sie berichten seit mehreren Monaten regelmäßig aus dem Land. Wie sicher fühlen Sie sich bei der Arbeit in Damaskus?

 

Martin Lejeune erschöpft nach einem langen Tag in einem Café in Damaskus.

 

Martin Lejeune: Ich fühle mich in Damaskus überhaupt nicht sicher. Heute sind in meiner unmittelbaren Nähe im Zentrum von Damaskus drei Granaten eingeschlagen. Eine traf den Präsidentenpalast, eine andere traf in Kafar Susei das riesengroße Hauptgebäude der Staatssicherheit, dem größten syrischen Inlandsgeheimdienst, und die dritte die chinesische Botschaft. Auch bei Fahrten innerhalb Syriens habe ich es schon erlebt, dass über den Bus, in dem ich fuhr, Raketen flogen und neben der Autobahn einschlugen. Wir fuhren an brennenden Palmen vorbei.

Newsroom.de: Können Sie sich frei bewegen?

Martin Lejeune: Nein, überhaupt nicht. Für jeden Ort, den ich besuchen möchte, brauche ich entsprechende schriftliche Genehmigungen, deren Ausstellung mehrere Werktage dauert. Bis man die hat, ist dann meistens schon das Visum abgelaufen. Auch kann ich mich nur mit syrischen Begleitern bewegen, die vom Informationsministerium autorisiert sein müssen.

Newsroom.de: Eine italienische Kollegin, die ebenfalls als freie Journalistin arbeitet, hatte kürzlich auch in der "Welt" über die miese Bezahlung ihrer Arbeitgeber berichtet. Wie sehr müssen Sie auf eigene Rücklagen zurückgreifen, um aus Syrien berichten zu können?

Martin Lejeune: Ich berichte ja für die taz, die nicht gerade für ihre üppigen Recherche-Budgets bekannt ist. Vor allem die Kosten für Flugtickets schieße ich vor. Im Großen und Ganzen decken sich aber die Einnahmen aus Honoraren mit den Ausgaben. Da ich keine Familie habe, die ich durchbringen muss, ist es ok. Den Artikel der Kollegin fand ich ziemlich grenzwertig. Immerhin hat sie sich den Ort, von dem aus sie berichtet, ja selber ausgewählt. Keiner hat sie dorthin entsandt und niemand zwingt sie, dort zu bleiben. Das gleiche gilt auch für mich. Daher ist es auch nicht angebracht, sich zu echauffieren über die Bedingungen, denen wir ausgesetzt sind. Auch mich plagen Läuse, Flöhe, Moskitos, Ameisen, Kakerlaken, Hitze und kontaminiertes Trinkwasser. Aber das gehört einfach dazu, wenn man in einem Land unterwegs ist, indem fast alles zerstört ist und der Staat in weiten Teilen nicht mehr existiert. Und selbst in Damaskus hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Ich würde mich über solche Kleinigkeiten aber nicht in der "Welt" beklagen. Auch die Gefahr, entführt zu werden oder von einer Granate zerfetzt zu werden, gehört schlichtweg zum Berufsrisiko.

Newsroom.de: Was muss aus Ihrer Sicht ein Kriegsberichterstatter mitbringen, um seiner Aufgabe als neutraler Journalist nachzukommen?

Martin Lejeune: Unabhängigkeit von den Kriegsparteien, um nicht einer Seite verpflichtet zu sein. Einfühlungsvermögen, um die Lage der vom Krieg betroffenen Bevölkerung schildern zu können. Und etwas Gelassenheit wäre auch ganz gut, um nicht bei jedem Kugelhagel gleich die Nerven zu verlieren.

Newsroom.de: Wie wichtig ist die richtige Vorbereitung auf solch einen Einsatz?

Martin Lejeune: Sehr wichtig. Man sollte eine Versicherung und eine Telefonnummer für den Notfall haben. Man sollte die Geschichte des Landes studieren, mehrere Zeitungen lesen, die Sprache lernen, die Sitten und Gebräuche kennen, viele Menschen haben, auf die man sich verlassen kann, die einem keinen Unsinn erzählen und die einen nicht an die nächstbeste Gang verkaufen. Ich bereise Syrien seit dem Jahr 2002 und kenne die Leute in den Gebieten, in denen gekämpft wird, schon aus der Zeit, das ist von Vorteil.

 

Martin Lejeune im Gespräch mit Omar Ossi, kurdisches Mitglied des syrischen Parlaments. 

 

"Kolportage überlasse ich der Hamburger Redaktion von Spiegel Online"

Newsroom.de: Sie haben viel Leid in Syrien gesehen. Können Sie das Schicksal der Menschen überhaupt noch in Worte fassen?

Martin Lejeune: Ich muss immer wieder von neuem um Worte ringen, um die täglichen Gräu­el­taten und gewissenlosen Terroranschläge aufschreiben und erklären zu können. Mit dem gesunden Menschenverstand sind sie nicht nachzuvollziehen. Grundsätzlich berichte ich nur von dem, was ich selber erlebt habe, wo ich selber vor Ort war oder über Augenzeugenberichte, die ich in Syrien selber eingeholt habe, und zwar von Augenzeugen, die ich kenne und einschätzen kann. Ich berichte nicht über Ereignisse, die von den Medien kolportiert werden, auf Video-Kanälen laufen oder durch soziale Netzwerke geistern. Das überlasse ich den Schreibtisch-Tätern in der Hamburger Spiegel-Online-Redaktion. Ich bin ein Vor-Ort-Korrespondent, der nicht von Kairo aus, wie zum Beispiel die ARD-Kollegen es zu tun pflegen, über die gesamte arabische Welt berichtet. Daher habe ich auf meinem Blog auch nicht über die chemischen Waffen berichtet, die nur einige Kilometer von mir entfernt eingesetzt wurden, einfach aus dem Grund, weil ich keine Zugang zu validen Primärquellen habe und nicht durch Hörensagen verbreitete Mutmaßungen widergeben möchte.

Newsroom.de: Wie reagieren eigentlich die Leser auf Ihre Berichterstattung? Gibt es viele Zuschriften?

Martin Lejeune: Ich bekomme kaum Rückmeldungen auf meine Blogbeiträge, was mich zweifeln lässt, ob es überhaupt die Nachfrage nach so einem Blog gibt. Es gab bisher nur einen Leserbrief von einem Deutschen, der einmal in Damaskus gearbeitet hat, Damaskus vermisst und das Internet nach aktuellen Informationen aus Damaskus durchforstet hat. Er hat mein Blog gefunden und mir geschrieben.

Und mir hat ein Palästinenser aus Germersheim geschrieben, den ich vor zwei Jahren im Gazastreifen kennengelernt habe. Er hat meine Stimme bei einem Radiogespräch wiedererkannt. Er hat mir Salbeiblätter aus Palästina mitgebracht. Diese beiden Zuschriften haben mich sehr motiviert und sind vor allem dann hilfreich, wenn es gerade einmal nicht so gut läuft.

Ein Dutzend Journalisten noch in Syrien entführt

Newsroom.de: Wie viele Journalisten berichten inzwischen regelmäßig aus Syrien? Wie viele sind vor Ort?

Martin Lejeune: Es sind meist nur eine Handvoll westlicher Medien, deren Korrespondenten ein Pressevisum für eine Woche bekommen und sich nacheinander abwechseln. Ich weiß nicht, wie viele Kollegen in den durch die Aufständischen kontrollierten Gebieten unterwegs sind. Aber ich weiß aus mehreren Quellen, dass derzeit noch über ein Dutzend westliche Journalisten in Syrien entführt sind. Aus Deutschland berichtet neben mir immer wieder Karin Leukefeld aus Syrien für die Berliner "Junge Welt".

 

Lager syrischer Flüchtlinge an der syrisch-libanesischen Grenze auf libanesischer Seite. Fotos: Martin Lejeune

 

Haifischbecken Damaskus

Newsroom.de: Tauschen Sie sich auch aus oder sieht man vor allem die Konkurrenz zwischen den Medien?

Martin Lejeune: Es überwiegt da ganz klar die Konkurrenz. Nicht nur Berlin ist ein Haifischbecken, auch Damaskus.

Newsroom.de: In einem aktuellen Blogbeitrag schildern Sie, dass der deutsche CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen mit drei Jeeps zu einem Termin fährt.

Martin Lejeune: So haben es mir die Syrer erzählt, die ihn betreut haben.

Newsroom.de: Würden Sie sich eigentlich auch wünschen, als festangestellter Korrespondent aus Syrien zu berichten?

Martin Lejeune: Dies würde zunächst einmal voraussetzen, eine unbefristete Akkreditierung zu erhalten, was zur Zeit beinahe unmöglich ist. Karin Leukefeld zum Beispiel hat fünf Jahre lang auf ihre Akkreditierung warten müssen und das war vor dem Krieg.

Newsroom.de: Und was würde dazu beitragen, dass Sie mit ruhigerem Gewissen aus Syrien berichten könnten?

Martin Lejeune: Es würde vielleicht schon helfen, wenn ich eine schusssichere Weste hätte, einen Schutzhelm und eine Gasmaske. Kollegen wie Herr Pleitgen haben das.

Ein bekannter serbischer Kriegsfotograf von Reuters hat mir erzählt, das ihn seine Agentur zu einer Schulung in England geschickt hat, während der er unvorbereitet entführt, gefangengehalten und verhört wurde. Auch überlebenssicherndes Verhalten in allen denkbaren Gefahrensituationen wurde mit ihm trainiert.

Dieses Training fand er hilfreich, war aber auch verdammt teuer. Die taz kann so etwas natürlich nicht bezahlen. Ich würde gerne wissen, ob es gemeinnützige Stiftungen gibt, welche die Recherchen von freien Journalisten unterstützen wollen.

Die Fragen an Martin Lejeune, seit 2011 freier Nahost-Korrespondent der Berliner "taz", stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

Zur Person: Seit 2011 arbeitet Martin Lejeune als freier Nahost-Korrespondent für die Berliner Tageszeitung "taz – die tageszeitung", für die er bislang aus Libyen, Marokko und Syrien berichtete. Seine Pressefotos aus dem Mittleren Osten werden vertrieben von der “APA – Austria Presse Agentur” in Wien, von “Corbis Images” in Seattle, von der "dpa – Deutsche Presse Agentur" in Berlin, von “picture-alliance” in Frankfurt am Main, “AFP - Agence France-Presse” in Paris und von “Scanpix” in Stockholm, Oslo, Tallinn und Kopenhagen.

Newsroom.de-Lesetipp: Hier geht es zum Blog von Martin Lejeune.