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Matthias Schinck über seine Zeit bei der FTD: „Erwarte das Unerwartete“

Als Grafiker hat Matthias Schinck das Erscheinungsbild der „Financial Times Deutschland“ mitbestimmt. Für NEWSROOM erinnert er sich an seine Zeit bei der FTD zurück.

Hamburg - Als mich im Jahr 2000 jemand fragte, für wen ich arbeite und ich den Namen des rosa (Entschuldigung, lachsrosa!) Blattes erwähnte, kam eine zweite Frage hinterher: „Was ist das? Ein Magazin?“. In den Anfangsjahren waren die Erklärungen noch umfangreicher als im Folgejahr 2001.

Eine ähnliche Frage 2002: „Und, was machst du so?“ - „Ich arbeite als Grafiker bei der FTD“ - „Was soll das sein, FTD?“ - „Ein rosa Zeitung, die du vielleicht schon mal am Kiosk gesehen hast.“ - „Ach so, ein Schwulenblatt!“ - „???“ …

Im Jahr 2003 war der Name im schon mal häufiger gefallen, insbesondere in den  Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. „Wie die Financial Times Deutschland in ihrer morgigen Ausgabe berichtet.“ (Scoop) Erst wenn eine überregionale Zeitung von anderen Medien zitiert wurde, machte sie etwas her.

Trotzdem auch 2004: „Was ist Dein Job?“ - „Ich bin Redakteur im Team Grafik der FTD“. - „Hä?“ - „Ich mache, dass die Nachrichten der schreibenden Kollegen gut aussehen, soll heißen, wir überlegen im Team, wie wir das schwierige Thema Finanzen dem Leser in einer optisch ansprechenden Form aufbereiten können.“

 

Matthias Schinck.

 

„Und wie viel Leute arbeiten bei Euch?“ - „So um die 300 Festangestellte, dann noch viele freie Mitarbeiter, Fotografen, Illustratoren, Freie Autoren, Zulieferer und auf der Verlagsseite Personaler, Anwälte, Controller, Marketingexperten und als Zulieferer die Werbeagenturen, Handelsvertreter etc. Viele, die in Abhängigkeit zur FTD arbeiten. Genaue Zahlen kenne ich nicht, die kennt kaum jemand.“

Nach der obligatorischen Einstiegsfrage 2005: „Und, wie hoch ist eure Auflage?“ - „Wir wollen mal 100.000 erreichen!“ - „Ha! Da hat ja unser Anzeigenblatt mehr, und die haben fünf Redakteure.“ An diesem Punkt hätte mir allmählich die Lust vergehen können, in meinem Bekanntenkreis zu erläutern, was und wie ich etwas mache. Tat es aber nicht.

Warum ich das erzähle? Fragen Sie mal in drei Jahren auf der Straße einen Menschen  nach der Financial Times Deutschland. „Eine Tageszeitung? - Stimmt, so was hatten die Leute damals, wer braucht die noch?“

Nutzwert

Ja, welchen Nutzwert hat ein bedrucktes Blatt Papier? Dass ist die ewige, über unseren Köpfen schwebende Frage. Warum machen wir das hier eigentlich? Jeder hat da seine eigenen Theorien und Antworten. Diese Theorien füllen nun viele Webseiten wie NEWSROOM und bald gedruckte Bücher.

Sie füllen die Blätter dieser Republik und die Blätter weltweit. Ich habe viele Redaktionen besuchen dürfen und viele Kollegen aus aller Welt getroffen. Alle stehen vor den gleichen Herausforderungen und können die Umwandlungsprozesse nicht aufhalten. Dennoch wird gedruckt wie nie zuvor - was hoffen lässt. Das hat viele Ursachen, die ich an dieser Stelle nicht erörtern möchte, denn es geht hier schließlich um Erinnerungen an meine Financial Times Deutschland.

Zu peinlich

Eine meiner persönlichen Höhepunkte waren die vielen Abschiedszeitungen. Die Kollegen aus der Presse kennen das vielleicht: Wenn ein Mitarbeiter den Verlag verlässt, basteln die Kollegen eine personalisierte Ausgabe. Ein Brauch, der zum Ausstand dazugehörte.

Auch die Umfänge dieser Ausgaben wurden von Jahr zu Jahr kleiner. Dabei kamen die witzigsten und erstaunlichsten Ausgaben heraus. Jeder, der wollte, durfte sich austoben. Die Vorgesetzten gaben warme Abschiedsworte mit auf den Weg. Es durfte gestaltet, geschrieben, gelästert und fotomontiert werden. Diese Ausgaben durften und dürfen nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken – sie sind einfach zu peinlich für alle Beteiligten.

Je höher die Position, desto umfangreicher war die Abschiedsausgabe. Die ironisch und satirisch verpackten Ausgaben waren ein Abbild dessen, was hätte sein können, wenn man uns mal alle schreiberischen und gestalterischen Freiheiten gelassen hätte. An Frechheit kaum zu überbieten. Keine Rücksicht vor der Privatsphäre; Verwandte und Bekannte lieferten Kinderbilder und andere peinliche Geheimnisse aus dem Wirken abseits des Arbeitslebens.

Wenn jetzt am 7. Dezember 2012, also morgen, die letzte Ausgabe der FTD erscheint, wünsche ich mir, dass sich ein Funken dieser Respektlosigkeit in der Abschiedsausgabe widerspiegelt. Keine Rücksichtnahme vor Anzeigenkunden, keine Abwägung von Interessen. Folgende Fragen sollten sich erübrigen: „Dürfen wir das so bringen? Was sagt der Kunde?".

Expect the unexpected

Zum Thema Lebensarbeitszeit passt auch dies: Ein lieber Kollege im Team Grafik, machte mir mal ein Geburtstagsgeschenk, dass ich sehr hoch einschätze.

Er schenkte mir einen Tag seiner Freizeit - acht Stunden - und digitalisierte für mich einen alten Imagefilm der FTD. Er machte nicht nur mir damit ein Geschenk, sondern auch dem Blatt, welches wir alle so sehr schätzten. Dafür opferten wir mehr als einmal unsere wichtigstes Gut: Unsere (Frei-) Zeit. Denn die ist bekannterma0en endlich.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen – Sie finden hier den Film „Expect the unexpected“ zum Launch der FTD im Jahr 2000.

Matthias Schinck ist freiberuflicher Grafiker und gehörte zum Gründungsteam der Financial Times Deutschland. Im Mai 2001 gründete er in Wien zusammen mit Kollegen aus Österreich und der Schweiz die deutschsprachige Sektion der Society for Newspaper Design - heute Society for Newsdesign, kurz: SND - einem weltweit agierenden Verband, dessen erklärtes Ziel es ist, den journalistischen Qualitätsanspruch durch gutes Design zu fördern.