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Zeitungsforscherin: „Nachfolgerfrage ist die Achillesferse der deutschen Verlage“

Mit den „Eigentümerstrukturen deutscher Zeitungsverlage“ hat sich die Journalistin Katharina Heimeier beschäftigt. Ein Gespräch über den ultrastabilen Zeitungsmarkt zwischen Flensburg und Freiburg.

Dortmund - Die „Dortmunder Beiträge zur Zeitungsforschung“ gelten als anspruchsvollste Lektüre für jeden Zeitungsliebhaber. In der Reihe, die sich einzig mit Printmedien und Journalismus beschäftigt, hat Katharina Heimeier, Jahrgang 1982 und Absolventin des Journalistik-Studiengangs an der Technischen Universität Dortmund, ihr Buch über Deutschlands Zeitungsverlage veröffentlicht. Die Arbeit kann dank ihrer Tiefe jetzt schon als Standardwerk betrachtet werden.

Im Gespräch mit Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük warnt Katharina Heimeier: „Die Nachfolgerfrage ist die Achillesferse der deutschen Verlage“.

 

Katharina Heimeier, Autorin von "Eigentümerstrukturen deutscher Zeitungsverlage". Sie warnt davor, dass die Nachfolgerfrage die Achillesferse der deutschen Zeitungsverlage ist.

 

 

Katharina Heimeier, die als freie Journalistin unter anderem für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und die Deutsche Presse-Agentur arbeitet, glaubt nicht, dass sich beim Wegfall der Familienverlage alternative Eigentümerstrukturen durchsetzen können.

„Ich befürchte tatsächlich, dass einige große Verlage wie Springer, DuMont oder auch die WAZ noch größer werden, während andere aufgeben müssen“, so Katharina Heimeier.


Newsroom.de: Frau Dr. Heimeier, wie viele Zeitungsverleger gibt es in Deutschland?

Katharina Heimeier: Es hört sich vielleicht merkwürdig an, aber das kann man nicht genau sagen.

Newsroom.de: Wieso weiß man nicht, wie viele Verleger es in Deutschland gibt?

Katharina Heimeier: Die deutschen Verleger sind äußerst verschwiegen. Obwohl sie selbst an der Herstellung von Öffentlichkeit beteiligt sind, halten sie sich mit der Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache zurück. Das habe ich auch bei meinen Recherchen gemerkt. Viele meiner Anfrage sind ins Leere gelaufen. Die meisten, vor allem die kleineren Verlage, haben noch nicht einmal eine eigene Pressestelle. Da verwundert es nicht, dass man die genaue Zahl der Verleger nicht kennt.

Newsroom.de: Aber Sie können schon genau sagen, welche Aufgaben Verleger übernehmen?

Katharina Heimeier: Auch das kann man so pauschal nicht sagen. Ganz grundsätzlich ist der Verleger natürlich derjenige, der einen Zeitungsverlag leitet. Der Verleger ist der klassische Eigentümer eines Zeitungsverlags. Seine Aufgaben sind dabei vielfältig - denn er trägt auf der einen Seite die wirtschaftliche Verantwortung für den Verlag, auf der anderen Seite aber auch eine publizistische Verantwortung. Welcher Seite er sich mehr verpflichtet fühlt, hängt von der einzelnen Verlegerpersönlichkeit ab.

Newsroom.de: Sie haben die Eigentümerstrukturen von deutschen Zeitungsverlagen untersucht. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Katharina Heimeier: Das Familieneigentum ist das hervorstechende Merkmal des deutschen Zeitungsmarktes. Das heißt: Die meisten deutschen Zeitungsverlage sind in der Hand von Verlegerfamilien. Die Anteile an den Verlagen bleiben in den jeweiligen Familien und werden meistens von Generation zu Generation weiter gegeben. Und obwohl es viele verschiedene alternative Eigentumsformen gibt, haben diese in Deutschland kaum eine Chance.

Newsroom.de: Heißt das, dass die Zeitungsverleger lieber unter sich bleiben und Marktfremde in ihrem Kreis nicht willkommen sind?

Katharina Heimeier: Genau das ist der Punkt. Die Zeitungskrise hat die Verlage Anfang des Jahrtausends enorm unter Druck gesetzt. Die Gelegenheit für neue Eigentümer war günstig. So ist es damals beispielsweise dem britischen Finanzinvestor David Montgomery gelungen, die "Berliner Zeitung" zu

kaufen. Aber dieses Modell blieb eine Ausnahme. Denn die Verleger haben zu ihren gewohnten Abwehrstrategien gegriffen: Sie verkaufen lieber an Ihresgleichen, pflegen ein ausgeklügeltes Beziehungsmanagement, das bis zur Adoption reicht und halten den Markt geschlossen.

Newsroom.de: Sie haben sich bei Ihrer Untersuchung vor allem auf die Zeitungsverlage in Nordrhein-Westfalen konzentriert. Wie sind Sie bei Ihrer Recherche vorgegangen?

 

Das Buch "Eigentümerstrukturen deutscher Zeitungsverlage - Eine Betrachtung der Entwicklung und Organisation klassischer Familienverlage im Vergleich mit alternativen Eigentumsformen", erschienen bei De Gruyter Saur und herausgegeben von Gabriele Toepser-Ziegert und Hans Bohrmann, wurde 2011 als Dissertation an der Technischen Universität Dortmund eingereicht (Gutachter: Hans Bohrmann, Frank Lobigs). Katharina Heimeier beschäftigt sich in Fallstudien unter anderem auch mit der "Hessisch/Niedersächsischen Allgemeinen" (Kassel), der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Essen), der "Süddeutschen Zeitung" (München) sowie dem Verlag DuMont Schauberg (Köln). In dem Werk kommt auch der Verleger Dirk Ippen (Foto: Andreas Grebert/dpa/obs/news aktuell GmbH) zu Wort. ISBN: 978-3-11-030159-5.

 

Katharina Heimeier: Ich habe die Eigentümerstrukturen im Handelsregister recherchiert. Dazu war ich zwei Monate im Dortmunder Amtsgericht und habe zusätzlich Anfragen bei 42 weiteren Amtsgerichten gestellt. Insgesamt habe ich 130 Registereinträge recherchiert. Das war etwas mühsam, denn man muss sich die Recherche wie bei einer Matroschka-Puppe vorstellen: Man beginnt mit einer Gesellschaft, die als Eigentümer eines Verlags angegeben ist. Das ist meistens eine GmbH & Co. KG. Dann stößt man auf eine weitere Gesellschaft, die bei der ersten Gesellschaft als Gesellschafter angegeben ist. Dann guckt man wieder bei dieser neuen Gesellschaft nach und irgendwann stößt man dann auf einen echten Menschen, dem der Verlag am Ende gehört. Zum Teil dauert das ganz schön lange, weil die Verlage recht verschachtelt aufgebaut sind. Der Vorteil dieser Vorgehensweise aber war, dass das Material öffentlich zugänglich ist und ich nicht auf die Auskunftsfreudigkeit der Verlage angewiesen war.

Newsroom.de: Wie hat sich die Struktur der Zeitungsverleger im Vergleich zu den 70er Jahren verändert?

Katharina Heimeier: Die Zeitungslandschaft hat seit den 70er Jahren an Vielfalt verloren. 1972 gab es in NRW noch 65 Verlage, 2010 waren es nur noch 49. Aber die Eigentumsstruktur an sich hat sich kaum verändert. Die meisten Verlage sind nach wie vor in der Hand derselben Familien, wenn auch mit anderen Generationen.

Newsroom.de: In Ihrem Buch kommen Sie zu dem Ergebnis, dass der deutsche Zeitungsmarkt ultrastabil ist. Verhindert solch ein geschlossenes System nicht Innovationen?

Katharina Heimeier: Das ist aus meiner Sicht tatsächlich das Problem. Statt neue Konzepte zu entwickeln verwenden die Verleger alle Energie darauf, den Markt geschlossen zu halten, auf alten Privilegien zu beharren und hart zu sparen, um die gewohnten Renditen wenigstens halbwegs zu sichern. Die journalistische Qualität leidet darunter - und die Journalisten fallen dem Sparwahn zum Opfer.

Newsroom.de: Sie haben die Eigentümerstruktur bei der WAZ Mediengruppe unter die Lupe genommen. Hätte es aus Ihrer Sicht die Entlassung fast der gesamten Redaktion gegeben, wenn auch weiterhin zwei verschiedene Familienstämme die Marschrichtung der Zeitung bestimmen würden?

Katharina Heimeier: Das kann man natürlich nicht wissen. Aber diese Frage habe ich mir auch gestellt: Würde es die "echte" Westfälische Rundschau noch geben, wenn die Zeitung nach wie vor zu 50 Prozent der Funke-Familie und zu 50 Prozent der Brost-Familie gehören würde? Ich bin mir sicher, dass Erich Brost mit dem Verkauf der Hälfte der WAZ-Anteile und der Quasi-Schließung der WR alles andere als einverstanden gewesen wäre. Aber seine Enkel scheinen kein Interesse mehr am Zeitungsgeschäft gehabt zu haben.

Newsroom.de: Wie in vielen anderen mittelständischen Unternehmen stellt sich bei Zeitungsverlagen die Frage nach einem Nachfolger. Haben die Zeitungsverleger ihr Haus bestellt?

Katharina Heimeier: Die Nachfolgerfrage ist die Achillesferse der deutschen Verlage. Die vom Krieg geprägte Gründergeneration tritt nun endgültig ab, die Führung der Verlage wird übergeben. In manchen Verlagen gelingt dies gut, in anderen kommt es zu Reibungen zwischen den Generationen - da braucht man nur zu DuMont Schauberg nach Köln zu gucken.

Newsroom.de: Sie erwarten auf dem Zeitungsmarkt eine weitere Konzentration. Gibt es noch weitere Eigentumsmodelle, die für Zeitungsverlage in Frage kommen?

Katharina Heimeier: Alternative Eigentumsmodelle gibt es viele - da braucht man zum Beispiel nur nach Frankreich zu schauen, wo es viele Formen von Mitarbeiterbeteiligung gibt oder in die USA, wo man innovative Crowdfunding- und Stiftungsmodelle beobachten kann. Aber ich befürchte tatsächlich, dass einige große Verlage wie Springer, DuMont oder auch die WAZ noch größer werden, während andere aufgeben müssen. Die Leidtragenden sind schließlich die Journalisten und die Leser.

Die Fragen an Katharina Heimeier stellte Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük.