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Eine Branche im Wandel und so viele Zeitschriften wie nie zuvor

Eine Branche im Wandel und so viele Zeitschriften wie nie zuvor Es gab noch nie so viele Zeitschriften wie heute. Im Bild: Cosmo@Work.

Für die Zeitschriftenbranche ist der digitale Wandel nichts Neues. Aber er ist immer mehr zu spüren. Was nicht heißt, dass keine Magazine mehr gedruckt würden. Ganz im Gegenteil. Von Andreas Heimann.

Berlin (dpa) − Wenn man auf die Zahl der Titel schaut, ging es der Zeitschriftenbranche in Deutschland noch nie so gut wie jetzt. Am Ende des ersten Quartals 2016 waren es 1589 − ein neuer Rekordwert. Das Angebot ist breit und vielfältig und lässt fast keine Wünsche offen. Noch die kleinste Nische wird bedient. Der Gesamtumsatz der Branche ging 2015 von 15,1 Milliarden Euro im Jahr davor nur leicht auf 14,7 Milliarden Euro zurück − und das vor allem wegen des Auslandsgeschäfts, wie Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), am Mittwoch betonte. 

 

Aber in der Branche ist viel in Bewegung, im Digital-, genau wie im Printbereich. Im Jahr 2015 gab es gleich 113 neue Magazine, dafür wurden 78 eingestellt. Und schon im ersten Quartal diesen Jahres gab es 33 neue Zeitschriften. „Es gibt immer wieder neue Player und viele neue Titel, auch von jungen Verlegern“, bestätigte Prof. Andreas Vogel, der in Bamberg Kommunikationswissenschaft lehrt und das Institut für Presseforschung in Köln leitet. Die Auflagen seien oft bescheidener als früher. „Und die Zeiten, in denen man als junger Verleger Milliardär wurde, sind vorbei. Aber Zeitschriften sind als Medium immer noch hochattraktiv.“

Nach Vogels Beobachtung spreizt sich der Markt allerdings zunehmend: „Da gibt es auf dem einen Ende die Mitnehmzeitschriften für 50 Cent, Promi-Illustrierte im Supermarkt und auf der anderen Seite das Special-Interest-Magazin, das dann auch 8,50 Euro kosten kann.“ Bei solchen Zeitschriften werde zunehmend Wert auf Haptik gelegt, sagte Vogel: „Besseres Papier, bessere Fotos, anspruchsvollere Titelblätter.“

All diese Trends dürften sich nach Einschätzung des Experten fortsetzen − noch über Jahre. „Ich gehe davon aus, dass es noch lange Zeitschriften gibt.“ Zu den wichtigsten mittelfristigen Entwicklungen gehört nach Vogels Beobachtung die weg von wöchentlicher und 14-tägiger Erscheinungsweise hin zu Titeln, die monatlich oder sogar vierteljährlich herauskommen. Außerdem seien zwar einerseits die Auflagen rückläufig, andererseits steige der durchschnittliche Copypreis. „Die Absatzzahlen sinken deshalb schneller als die Umsätze“, sagte Vogel.

Auch der digitale Wandel, der manche andere Branche gerade erst erreicht habe, sei für die Zeitschriftenverleger nichts Neues, betonte Scherzer. „Das kennen wir schon seit 25 Jahren.“ Inzwischen sei bei den Zeitschriftenverlagen eindeutig eine Verschiebung zum Digitalen erkennbar, ergänzte Hermann-Dieter Schröder vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Viele Verlagshäuser hätten sich lange gescheut, sich im Internet zu engagieren, aus Angst vor Selbstkannibalisierung und der Sorge, ihre Inhalte kostenlos zu verschenken.

Die Zeiten, in denen im Web alles umsonst zu haben war, seien aber vorbei. „Die Verlage werden sich künftig noch stärker digital engagieren“, sagte Schröder. „An diesen Markt müssen sie auch ran.“ Der Medienexperte sieht dafür durchaus Chancen: „Da, wo Zeitschriften spezifische Kompetenzen haben, da lässt sich auch Geld verdienen.“

Auch aus Sicht des VDZ ist der digitale Wandel greifbar. Die Nutzung digitaler Angebote nimmt zu. Als einen Indikator nannte Stephan Scherzer bei der Jahrespressekonferenz des VDZ den deutlichen Zuwachs beim mobilen Zugriff auf Zeitschriftenwebsites. Hier sei die Zahl der User von 17,2 in 2014 auf 27,3 Millionen in 2015 „enorm“ gestiegen. Durch die digitalen Angebote bleibe die Reichweite insgesamt stabil, sagte Scherzer. „Und die Verlage erreichen im Digitalbereich Menschen, die sie vorher nicht erreicht haben.“

Die Zeitschriftenverleger wollen das Digitalgeschäft 2016/2017 deshalb weiter ausbauen. So gaben bei einer Erhebung im Auftrag des VDZ 89 Prozent der befragten Verlage an, die Investitionen in Mobile-Angebote erhöhen zu wollen, 67 Prozent sagten das für den Online-Bereich. Annähernd zwei Drittel (63 Prozent) gaben an, den Etat für Bezahlangebote auszuweiten.

Als eine deutliche Bremse sehen die Verlagshäuser den verbreiteten Einsatz von Adblockern, die das Geschäft mit Werbung erheblich erschweren. In der VDZ-Trend-Umfrage sahen 87 Prozent der befragten Verlage darin eine Gefahr für die wirtschaftliche Basis von Qualitätsjournalismus. „Ich bin entsetzt, dass ein erstinstanzliches Urteil gefällt wurde, nach dem diese Praxis statthaft sein soll“, sagte Stephan Scherzer.

Als drängendes Problem empfinden die Verleger auch das Thema reduzierte Mehrwertsteuer für digitale Publikationen. Einen entsprechenden Plan der EU-Kommission, das europäische Mehrwertsteuerrecht für digitale Publikationen dem Recht für gedruckte anzugleichen, begrüßt der VDZ. Denn dann könnten die EU-Staaten für digitale Angebote den geringeren Mehrwertsteuersatz einführen. Das wird nach Stephan Scherzers Einschätzung höchste Zeit.

 

Andreas Heimann