Pressefreiheit
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Journalistenmord unvergessen: Slowaken demonstrieren gegen Korruption

Tausende Slowaken wollen an diesem Freitag wieder gegen Korruption demonstrieren. Der Mord am Journalisten Kuciak und seiner Verlobten legte den Filz zwischen Wirtschaft und Politik offen. Die Slowakei kommt vor der Parlamentswahl in der kommenden Woche nicht zur Ruhe.

Bratislava (dpa) − „Ich habe an die Tür geklopft, Herr Kuciak hat mir aufgemacht, und ich habe ihm sofort in die Brust geschossen.“ Mit diesen nüchternen Worten gestand Miroslav M. im Januar 2020 vor einem Spezialgericht in Pezinok bei Bratislava den inzwischen zwei Jahre zurückliegenden Mord am slowakischen Investigativ-Journalisten Jan Kuciak. Er sei dann der in die Küche geflüchteten Verlobten Martina Kusnirova nachgelaufen und habe die Zeugin mit einem gezielten Schuss in den Kopf getötet, fügte er hinzu.

 

Der brutale Doppelmord rückte die Slowakei ins Rampenlicht der internationalen Aufmerksamkeit und weckte Anteilnahme auch in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel traf sich persönlich mit den Eltern des ermordeten Jan Kuciak, als diese im November 2018 stellvertretend für ihren toten Sohn die vom deutschen Verlegerverband VDZ posthum erteilte Auszeichnung Goldene Victoria für Pressefreiheit entgegen nahmen.

 

Noch beim Gerichtsprozess sagte Jozef Kuciak, der Vater des Ermordeten, der Deutschen Presse-Agentur: „Das Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel war für uns sehr berührend. Über Politik haben wir kaum geredet, eher über Persönliches. Ihr Interesse an uns schien uns wirklich ernst gemeint und echt.»

 

So unerwartet wie diese davor so einfach und bescheiden lebende Familie Kuciak plötzlich unbarmherzig ins Getriebe der Machtpolitik geriet, weil ihr engagierter Sohn in seinen Publikationen für das Internetportal Aktuality.sk auf Verfilzungen zwischen Politik und Geschäftemacherei aufmerksam machte, so abrupt wachte auch die vorher politisch eher lethargische slowakische Gesellschaft nach dem Journalistenmord auf.

 

In einem Land, in dem es kaum Streiks gibt und die Beteiligung an EU-Parlamentswahlen seit 2004 kontinuierlich die niedrigste aller EU-Mitgliedsländer ist, versammelten sich plötzlich Zehntausende Demonstranten, um Woche für Woche auf den Plätzen aller größeren Städte gegen Korruption zu demonstrieren und eine lückenlose Aufklärung der Mordtat zu verlangen. Auch für diesen Freitag sind wieder landesweite Demonstrationen angekündigt.

 

Die Wucht der Demonstrationen fegte seitdem eine ganze Reihe von zuvor allmächtig Scheinenden aus ihren Positionen. Selbst der sozialdemokratische Langzeit-Regierungschef Robert Fico trat ebenso von seinem Amt zurück wie mehrere seiner Minister, der Polizeipräsident und wichtige Spitzenvertreter der Justiz.

 

Besonders explosiv wirkte sich ein unvollendeter Enthüllungsbericht des Ermordeten über mögliche Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu slowakischen Regierungsstellen aus. Die nach Kuciaks Tod in der Slowakei und auch in Deutschland veröffentlichte Recherche war der eigentliche Zünder für die Massendemonstrationen gegen die sozialdemokratisch geführte Regierung in Bratislava. Deshalb wurde zunächst auch irrtümlich ein Zusammenhang zwischen diesem Artikel und dem Mord vermutet. Ex-Regierungschef Robert Fico wiederholt seither in Internetvideos, er sei aufgrund einer Verschwörung zum Rücktritt gezwungen worden.

 

Tatsächlich widerlegten die Mordermittlungen zwar inzwischen diese anfangs so genannte „italienische Spur“, die die Regierung als Mittäter gesehen hätte. Aber die zahlreichen Enthüllungen aus den Ermittlungsergebnissen belegten auch ein breites Korruptionsnetz des inzwischen als vermutlicher Auftraggeber des Mordes angeklagten Millionärs Marian Kocner, in das Entscheidungsträger aus Politik, Polizei und Justiz seit Jahrzehnten verwickelt waren.

 

Kocner hatte zwar Entscheidungsträger der früheren bürgerlichen Regierungen ebenso wie später der Sozialdemokraten bestochen und erpresst. „Doch nachdem nun schon seit über zehn Jahren mit nur kurzer Unterbrechung die sozialdemokratische Partei Smer regiert, ist logisch, dass man ihr den Hauptvorwurf dafür macht“, sagt der Meinungsforscher Pavel Haulik.

 

Von Christoph Thanei, dpa