Pressefreiheit
B.Ü.

Michael Rediske: "Keine Freiheit ohne Pressefreiheit!"

Michael Rediske: "Keine Freiheit ohne Pressefreiheit!" Michael Rediske.

Eine bewegende Rede hat Michael Rediske, ehrenamtlicher Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen, auf der Demonstration für Pressefreiheit in Polen am 9. Januar Unter den Linden in Berlin gehalten. Wir dokumentieren seine Rede in leicht gekürzter Form.

Zur Person: Dr. Michael Rediske. Seit 1994 ehrenamtlicher Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen e.V. In Konstanz diplomierter Verwaltungswissenschaftler, dann Journalist geworden: erst als Freier in Lateinamerika, später Redakteur und drei Jahre lang auch Chefredakteur der taz. Nach Stationen bei afp und der Ev. Medienakademie zum Deutschen Journalisten-Verband gekommen: seit 2004 Geschäftsführer des heutigen Journalisten-Verbandes Berlin-Brandenburg. Mitglied des Deutschen Presserats 1998 bis 2003.


Uns stehen Regierungen gegenüber, die in immer mehr Ländern Europas ihr Heil in einem Rückfall in die Nationalisierung suchen, in einer Berufung auf angebliche traditionelle Werte – und bemänteln damit, dass sie zurück wollen in den autoritären Staat des 19. und 20. Jahrhunderts.

 

Wir heißen Reporter ohne Grenzen, aber wir treten nicht deshalb für die Pressefreiheit ein, weil wir alle Journalisten wären. Das sind längst nicht mehr alle unsere Mitglieder. Viele arbeiten in anderen Berufen, aber sie engagieren sich bei uns, weil sie unserem Motto folgen: „Keine Freiheit ohne Pressefreiheit“. Wird nämlich die Pressefreiheit eingeschränkt, werden pluralistische Medien unter Staatskontrolle gestellt, dann leiden über kurz oder lang auch alle anderen Freiheiten. Warum? Weil die öffentliche Kontrolle fehlt, weil Bevölkerung nur noch einseitig durch Regierungsmedien informiert wird, weil die Machthaber, selbst wenn sie demokratisch gewählt sind - sich nicht mehr einem offenen Meinungsstreit stellen müssen.

 

Wer die Kontrolle über die Medien einführt, ist auf dem Weg in den autoritären Staat. Wladimir Putin hat das in Russland vorgemacht. Mittlerweile haben über 90 Prozent der Bevölkerung dort keine reale Möglichkeit mehr, sich aus anderen als staatlich kontrollierten Medien zu informieren, die mittlerweile ein absurd verzerrtes Bild dessen zeichnen, was in der Welt vor sich geht.

 

Dann kam Viktor Orban in Ungarn an die Macht und wurde zum gelehrigen Schüler Putins. Mit einem repressiven Mediengesetz, mit der Drangsalierung regierungskritischer Journalisten, mit der direkten Kontrolle der elektronischen Medien durch die Regierungspartei.

 

Polens starker Mann Kaczinski präsentiert sich stolz als Schüler des Putin-Schülers Orban. Pressefreiheit ist für ihn und seine PiS offenbar nur ein anderes Wort für westliche Dekadenz.

 

Ich will nicht verschweigen, dass es auch unselige Vorbilder für Orban und Kaczynki im westlichen Europa gibt. Allen voran der ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Er schaffte es, 90 Prozent des Fernsehmarktes unter seine Kontrolle zu bringen – als Eigentümer des größten Medienkonzerns die Privatsender und gleichzeitig als Ministerpräsident die öffentlich-rechtlichen Kanäle.

 

Doch es gibt einen Unterschied: In Italien funktionierte immerhin die Gewaltenteilung, es gab weiter ein unabhängiges Verfassungsgericht, die Hälfte der Bevölkerung war gegen ihn, und deshalb wurde Berlusconi dann auch zweimal, und endgültig, abgewählt.

 

Eine Grundvoraussetzung für Presse- und Informationsfreiheit lautet: funktionierende Gewaltenteilung mit einem starken, unabhängigen Verfassungsgericht. Auch deutsche Bundesregierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten versucht, die Pressefreiheit einzuschränken - wenn lange auch nicht so drastisch wie in Ungarn und Polen. Es war dann immer wieder das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das die Pressefreiheit gegen diese Angriffe schützte. Es hat zum Beispiel – zuletzt beim ZDF - enge Regeln aufgestellt, um den staatlichen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu begrenzen. Nach unserer Auffassung immer noch nicht genug, denn die politischen Parteien regieren weiter in die Personalpolitik der Sender hinein. Aber immerhin: Einem Umbau in reine Staatssender, wie das die PiS vorhat, würde das Bundesverfassungsgericht sofort einen Riegel vorschieben.

 

Polens Verfassungsgericht dagegen wird jetzt entmachtet. Wenn es künftig seine Fälle chronologisch abarbeiten muss und nicht mehr nach Dringlichkeit, dann können neue Gesetze nicht mehr vor Inkrafttreten geprüft werden. Mit solchen Tricks hintertreibt man die Kontrollfunktion des obersten Gerichts!

 

Pressefreiheit steht in fast allen Verfassungen der Welt auf dem Papier. In mindestens zwei Dritteln aller Länder wird sie aber von den Regierungen mit Füßen getreten. Das stellt Reporter ohne Grenzen jedes Jahr in seiner weltweiten Rangliste der Pressefreiheit fest. Auch im restlichen Drittel mehr oder weniger demokratischer Länder versuchen Regierungen immer wieder, die Meinungsvielfalt einzuschränken. Deshalb können Pressefreiheit, Pluralität der Informationen und damit die offene Diskussion nur durch unabhängige Gerichte garantiert werden. Und die Medien müssen staatsfern organisiert sein.

 

Die Europäische Union tut recht daran, die Einhaltung der EU-Grundwerte zu Pressefreiheit und Medienvielfalt einzufordern – in Polen genauso wie anderswo. Aber durchsetzen kann das nur die polnische Zivilgesellschaft selber. Sie und Ihre Landsleute, die heute in Warschau und anderswo demonstrieren und die Sie noch viel mehr werden müssen, können es schaffen.

 

Reporter ohne Grenzen steht überall auf der Welt an der Seite derer, die die Presse- und Informationsfreiheit verteidigen. Wir stehen auch an der Seite aller Polen, die dafür kämpfen. Wir stehen an Ihrer Seite.

 

Keine Freiheit ohne Pressefreiheit!

 

Michael Rediske