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Ralf Heimann: Was will Satire an der Grenze?

Ralf Heimann: Was will Satire an der Grenze?

Immer, wenn jemand wissen möchte, was Satire eigentlich darf, geht es eigentlich um eine ganz andere Frage, und die lautet: Muss das denn alles wirklich sein? Von Ralf Heimann.

Münster - Schmutzige Witze, Zoten, unappetitliche Beleidigungen. Wer braucht so was? Wenn die Leute schon Witze machen müssen, warum dann nicht wenigstens gute, über die man auch mit der Familie beim Abendessen lachen kann?

 

Im Januar 2015 sah es für eine Millisekunde so aus, als könnte sich all das jetzt ändern, weil sehr schaurig eindrucksvoll vorgeführt wurde, wie man sich so einen “Angriff auf die Meinungsfreiheit” vorzustellen hat – und dass man dabei im schlechtesten Fall nicht nur von Argumenten getroffen wird.

 

Kurz schimmerte durch, dass Satire vielleicht zeitweise mit Comedy verwechselt worden war und die gefällige Unterhaltung gar nicht notwendigerweise dazugehört.

 

Etwas mehr als ein Jahr später ist immerhin hängengeblieben, dass Satire dieses Dings mit Humor ist. Und bei Facebook schreibt man unter das Video mit dem Böhmermann-Gedicht: “Ich bin ja wirklich ein Freund von Satire. Aber darüber kann ich echt nicht lachen. Das ist einfach nur geschmacklos.”

 

Wer eine Satire danach beurteilt, wie geschmackvoll sie ist, achtet wahrscheinlich auch beim Kauf eines Werkzeugkastens in erster Linie auf die Farbe. Satire soll vor allem eins: treffen. Und dass Böhmermann das nicht gelungen wäre, hat in den letzten Tagen ja eigentlich niemand behauptet.

 

Erst hieß es, er habe nur einen draufsetzen wollen, weil es ihm gegen den Strich gegangen sei, dass jetzt alle nur über dieses Extra3-Video sprachen. Dann löschte das ZDF sein Gedicht, und man ahnte warum, wenn man es sich ansah. Die meisten waren sich einig: Das geht wirklich überhaupt nicht. Schließlich sickerte durch: Er hatte das Gedicht in der Sendung in Anführungsstriche gesetzt und sich davon distanziert. Aber das verhallte schnell. Und Erdogan muss man natürlich nichts über Anführungsstriche erzählen.

 

Ich selbst habe in meinem Leben einige Stunden damit verbracht, Zeitungslesern die Funktion von Anführungszeichen zu erklären und dabei festgestellt: Im Prinzip könnte man sie sich sparen. Tolles Konzept, aber sehr schwer zu vermitteln.

 

Wer die Wirkung ausprobieren möchte, kann seinem Chef mal bei Gelegenheit sagen: „Ich fühle mich bei Ihnen so wohl, dass ich noch nie gedacht habe: ‚Ich kündige‘“ – und dann bei anderer Gelegenheit den zweiten Teil noch mal isoliert aussprechen. Man wird gleich sehen: Die Reaktionen unterscheiden sich fundamental.

 

Natürlich ist mal wieder alles viel komplizierter, als man es sich wünschen würde. Auch eine in Gänsefüßchen eingezäunte Bemerkung kann eine Beleidigung sein. Es ist nicht ganz unwichtig, wer etwas sagt und bei welcher Gelegenheit etwas gesagt wird.

 

Sogar die freundliche Frage „Wie geht’s eigentlich Ihrer Familie?“ kann sehr unterschiedliche Bedeutungen haben, je nachdem, ob der Chef sie stellt – oder der Schutzgelderpresser.

Auch in der Sache Böhmermann geht es nun um die Frage, wie das Gedicht zu verstehen ist und ob Böhmermann etwas zu weit gegangen ist. Damit wären wir wieder am Anfang. Muss das alles wirklich sein? Hätte er auf die ganzen Geschmacklosigkeiten nicht einfach verzichten können.

 

Ja, hätte er machen können. Dieter Hallervordens Lied wäre uns dann wahrscheinlich erspart geblieben, und vielleicht hätte auch Erdogan sich gar nicht mehr gemeldet. Konnte man vorher alles nicht wissen. Aber so hat Böhmermann nun absichtlich oder unabsichtlich – so genau weiß man das ja nicht – eine Grenze aufgespürt, von der man nicht wusste, dass sie so eng gezogen ist.

 

Den Hinweis auf den Verlauf hatte Erdogan selbst gegeben, als er wegen des harmlosen Extra3-Spaßliedes den deutschen Botschafter einbestellen ließ. Man konnte die Sache irgendwie regeln. Es bestand nie ein Zweifel daran, dass dieses Video vollkommen in den Schutzbereich der Satirefreiheit fällt. Was aber seltsamerweise fehlte, war ein deutliches Wort der Bundeskanzlerin.

 

Die Extra3-Redaktion war auf irgendwas gestoßen, Böhmermann spachtelte genau dort weiter. Er bearbeitete die empfindliche Stelle, nicht als Privatmann, der großen Spaß daran findet, Menschen Beleidigungen hinterherzuwerfen, sondern als Satiriker, der die Grenzen des Möglichen auskundschaftet, und das nicht nur zu seinem Selbstzweck. Das Gebiet, das er erschlossen hat, steht danach ja auch allen anderen zur Verfügung.

 

Dass Böhmermann Erdogan nicht ernsthaft beleidigen will, erkennt man mit ein bisschen gutem Willen schon an den Anschuldigungen, die so absurd sind, dass man ihm kaum unterstellen würde, er meine das alles ernst.

 

Das Gedicht ist einfach, aber die Vorführung sehr ausgeklügelt. Böhmermann konstruiert die größtmögliche Schmähkritik, setzt sie in Anführungsstriche und bringt sich selbst in Sicherheit, indem er sich gleich mehrfach vom Inhalt distanziert. Der türkische Zuschauer kann die Anführungsstriche nicht sehen, auch nicht die Distanzierung, denn mit Untertiteln versehen ist nur das Gedicht selbst.

 

Paradoxerweise hat das ZDF alles noch viel schlimmer gemacht, indem es das Gedicht aus der Sendung gelöscht hat. Wer sich den Ausschnitt ansehen möchte, findet ihn nicht mehr im Original, aber dafür überall im Internet, herausgelöst aus dem Zusammenhang. Vielleicht wäre es geschickter gewesen, den Rest einfach auch mit Untertiteln zu versehen.

 

Teil des Vorführung ist, dass der Zuschauer rätselt, was kalkuliert ist und was ungewollte oder unverhoffte Nebenwirkung.

 

Die Finte mit den Untertiteln spricht dafür, dass Böhmermann auf eine heftige Rückkopplung gehofft hat, die, damit hätte man gerechnet, in der Weite unserer Meinungsfreiheit verklingen würde. Erdogan hätte gleich gesehen, wo seine Grenzen verlaufen, natürlich irgendwo jenseits von Deutschland.

 

Inzwischen sind die Grenzen in Umrissen zu erkennen, aber es sieht doch etwas anders aus, als viele erwartet hatten, und es könnte sein, dass Böhmermann es geschafft hat, mithilfe eines schmutzigen Gedichts und ein paar glücklichen Zufällen zu zeigen, dass die Grenzen sich leicht verschoben haben.

 

Es ist der Verdacht entstanden, dass Angela Merkel das ganze Gebiet nicht mehr beanspruchen kann, weil sie sich in eine zweifelhafte Abhängigkeit begeben hat. Hätte Böhmermann sich für ein geschmackvolleres Gedicht entschieden, wäre das wahrscheinlich nie aufgefallen.

 

Aber es hätte schnell zum Problem werden können. Erdogan ist ja sogar hinter Schülern und Studenten hier, deren Kommentare im Netz er für beleidigend hält. Es hätte auch jemanden aus Deutschland treffen können. Jemanden, den keiner kennt.

 

Die Frage ist, wie Angela Merkel reagiert hätte, wenn Erdogan sich dann gemeldet hätte. Sie hätte abwägen müssen. Auf der einen Seite die komplizierte Flüchtlingsfrage mit all ihren Unwägbarkeiten, auf der anderen der namenlose Schmierfink aus dem Internet. Das Ungleichgewicht wäre noch etwas größer gewesen.

 

Wäre die Meinungsfreiheit dieses Mannes genauso viel wert gewesen wie die von Jan Böhmermann? Man würde es hoffen. Aber ist man sich sicher?

 

Satiriker reizen die Grenzen unter den Augen aller aus. Sie sind ein Maßstab dessen, was man sich erlauben darf. Die Satire ist eine Kunstform, die viel Sinnloses darf, aber damit zwischendurch als Korrektiv sehr nützlich ist. Gelegentlich landen Satiriker mit ihren Späßen vor Gericht, und manchmal erfahren sie da, was sie nicht durften. Aber auch da spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Satire den Richtern gefällt.

 

Ralf Heimann

 

Zur Person: Ralf Heimann arbeitet seit September 2014 als Journalist und Autor (Wired Germany, UniSPIEGEL, SZ-Magazin, Medium-Magazin. Autor bei S. Fischer und Heyne). Zuvor war er sieben Jahre Redakteur bei der "Münsterschen Zeitung". In seinem Blog "Operation Harakiri" ist dieser Text zu erst erschienen.