Nürnberg - Die Mitarbeiter der Nürnberger Abendzeitung, die ihr Erscheinen am 29. September 2012 eingestellt hat, sind freigestellt, eine Insolvenz, das hat der Verleger und Eigentümer, der Medienunternehmer Gunter Oschmann, gegenüber den Mitarbeitern betont, wird es nicht geben. Derzeit wird auch gemeinsam mit der Agentur für Arbeit und den Gewerkschaften genau überlegt, welche Hilfen es genau für die Journalisten geben kann, welche Sozialpläne aufgestellt werden können.
Christian Adler, geboren 1978 in Zwickau, studierte Journalistik und Politikwissenschaften in Leipzig. Er absolvierte ein Volontariat bei der „Abendzeitung“ in München und arbeitete in der Konzernkommunikation der Deutschen Bahn AG in Berlin. Seit 2005 ist Adler als Pressereferent und stellvertretender Pressesprecher am Flughafen Dresden International tätig.
Wir veröffentlichen einen Auszug aus seiner immer noch aktuellen Diplom-Arbeit "Die Münchner Abendzeitung 2003 - Publizistische Anpassungsversuche einer Boulevardzeitung an den schwieriger werdenden Markt der deutschen Straßenverkaufspresse", die im GRIN Verlag erschienen ist. In seinem Beitrag, den wir leicht gekürzt haben, erinnert Christian Adler an Verlegerlegende Werner Friedmann, seine Gattin Anneliese, die sich selbst einmal als "Star-Journalistin" bezeichnete, die Friedmann-Freundschaft zum Kölner Verleger Neven DuMont und die Ausbreitung der Abendzeitung nicht nur in Nürnberg, sondern auch nach Augsburg und Stuttgart.
Die Entstehungsgeschichte der Abendzeitung
Die Geschichte der Abendzeitung begann vor 55 Jahren auf der Münchner Presseausstellung. Damit ist sie eine der traditionsreichsten Boulevardzeitungen Deutschlands. Manchem gilt die AZ sogar als „Legende“, die zu München wie der Englische Garten und das Hofbräuhaus gehöre. Bis heute ist die Abendzeitung allein im Besitz der Münchner Verlegerfamilie Friedmann.
Die Eigentümer-Familie Friedmann
Der Gründer der Abendzeitung: Werner Friedmann
Werner Friedmann wurde am 12. Mai 1909 in München geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Berlin. Nachdem sein Vater, ein jüdischer Kinderarzt, gestorben war, ließ sich die aus Bayern stammende Mutter mit ihren drei Kindern wieder in München nieder. Friedmann besuchte das humanistische Wilhelmsgymnasium und gründete eine Schülerzeitung. Nach dem Abitur 1926 studierte er bis 1930 in München Philosophie und war einer der ersten Besucher des Zeitungswissenschaftlichen Seminars von Professor Karl d’Ester.
Um das Studium zu finanzieren, arbeitete Werner Friedmann als Reporter bei den Münchner Neuesten Nachrichten und lernte durch Zufall den Chefredakteur der antinationalsozialistischen Süddeutschen Sonntagspost, Walter Tschuppik, kennen. Dieser erkannte Friedmanns schreiberisches Talent und bot ihm eine feste Redakteursstelle an. Der junge Journalist brach seine Doktorarbeit zum Thema „Der Tod Goethes in der deutschen Presse“ ab und trat Anfang 1930 als „Schriftleiter“ in die Redaktion der Sonntagspost ein. Als 24-Jähriger stieg er zum stellvertretenden Hauptschriftleiter der Zeitung auf.
Der journalistische Durchbruch gelang ihm mit einem Beitrag über Adolf Hitler. Friedmann deckte auf, dass sich der gebürtige Österreicher Adolf Schicklgruber, der sich inzwischen Hitler nannte, die deutsche Staatsbürgerschaft erschleichen wollte, um bei der Wahl des Reichspräsidenten kandidieren zu können. Dies wollte er mit der Übernahme eines Postens als Gendarmerie-Vorsteher im thüringischen Hildburghausen erreichen. Mit der Verleihung der Beamteneigenschaft wäre automatisch die Aneignung der deutschen Staatsbürgerschaft verbunden gewesen. Werner Friedmann kam diesem Schachzug auf die Spur und war den Nationalsozialisten fortan bekannt. Im März 1933 wurden er und Tschuppik von der Gestapo verhaftet. Die Anklage lautete auf Hochverrat. Am 13. November 1933 wurde Friedmann entlassen.
Vermutlich hatte seine Mutter einen Bittbesuch bei einem hohen bayerischen Regierungsbeamten gemacht, den sie von früher kannte. Friedmann erhielt Schreibverbot und wurde des Landes Bayern verwiesen. Um als Halbjude nicht ins Konzentrationslager deportiert zu werden, tauchte er in Berlin unter und lebte von der Übersetzung von Bildtexten aus dem Englischen. Im Februar 1940 wurde Friedmann zur Wehrmacht eingezogen. In seiner Eigenschaft als Frontsoldat konnte er noch im selben Jahr seine langjährige Verlobte Elisabeth Schmidbauer heiraten. Nach Entlassung aus britischer Gefangenschaft kehrte er 1945 nach München zurück.
Nach zwölf Jahren Berufsverbot übernahm Werner Friedmann die Leitung des Bayernteils der Süddeutschen Zeitung, die am 6. Oktober 1945 als erste in Bayern lizenzierte Zeitung erschien. Am 2. August 1946 wurde der Journalist nachträglich als vierter Lizenzträger der SZ zugelassen, wodurch er zum Gesellschafter des Süddeutschen Verlags wurde. 1948 hob Friedmann die Abendzeitung aus der Taufe und fungierte als deren Herausgeber. Sein journalistisches Engagement galt zunächst weiter der SZ, deren Chefredakteur er von 1951 bis 1960 war.
Hintergrund des Aufstiegs zum Chefredakteur war die „Bleibtreu-Affäre“, die der ehrgeizige Friedmann nutzte, um sich in den Vordergrund zu schieben. Während eines Aufenthalts in Rom hatte die SZ einen antisemitischen Leserbrief veröffentlicht. Nach seiner Rückkehr schrieb Friedmann einen Beitrag „In eigener Sache“, in dem er sich von der unkommentierten Wiedergabe des Briefs distanzierte. Daraufhin zog sich Edmund Goldschagg, der für das innenpolitische Tagesgeschäft zuständig war, als Redakteur zurück. Seitdem hatte Werner Friedmann eine dominierende Doppelstellung als Gesellschafter und Chefredakteur inne.
Christian Adler hat sich wissenschaftlich mit der Abendzeitung beschäftigt. Wir veröffentlichen - in leicht gekürzter Form - das Kapitel zur Geschichte der Abendzeitung aus seiner Diplom-Arbeit "Die Münchner Abendzeitung 2003 - Publizistische Anpassungsversuche einer Boulevardzeitung an den schwieriger werdenden Markt der deutschen Straßenverkaufspresse", die im GRIN Verlag erschienen ist.
Die SZ trug in den Nachkriegsjahren Friedmanns journalistische Handschrift. Er entwickelte das „Streiflicht“ mit und rief die Reportagen auf der dritten Seite ins Leben.
Ferner initiierte der Blattmacher die Aktion „Schönere Schulzimmer“, den „Adventskalender für gute Zwecke“, die „Werner-Friedmann-Stiftung“ für alte und bedürftige Künstler und Journalisten sowie unter dem Motto „Gegen den Verkehrstod – für einen sinnvollen Verkehrsausbau“ das „Verkehrsparlament“. Der Kampf für Demokratie und Toleranz war Mittelpunkt seiner Berufsauffassung. Die Frage nach den Aufgaben der Presse beantwortete er mit neun Punkten:
• „Zur Demokratie und Meinungsfreiheit zu erziehen;
• Zur Toleranz und Achtung vor Religion und Rasse zu erziehen;
• Zur Abneigung gegen Militarismus, Nazismus und Chauvinismus zu erziehen;
• Erkenntnis begangener Fehler (...) in der Hitlerzeit zu bringen;
• Die deutsche Überheblichkeit zu bekämpfen;
• Die Brücke in die Welt der freien und zivilisierten Völker zu schlagen;
• Die Jugend aus der Welt von gestern zu erlösen und das Vertrauen in eine bessere Zukunft zu geben;
• Die Methoden des Verbrecherregimes schonungslos zu enthüllen und dadurch die Gegenwart auf die wahren Schuldigen zurückzuführen;
• Durch objektive Berichterstattung – Trennung von Meldung und Meinung – das Vertrauen der Öffentlichkeit zur Presse wieder zu gewinnen.“
Seit seinem 42. Geburtstag war Friedmann in zweiter Ehe mit Anneliese Schuller, Redakteurin der SZ, verheiratet.
Das Jahr 1960 markierte in seinem journalistischen Schaffen eine Wende. Er stürzte über eine Liebesaffäre mit einer minderjährigen Angestellten des Süddeutschen Verlags. Am 10. Mai wurde der Chefredakteur nach einer Redaktionskonferenz verhaftet. Die 4. Große Strafkammer des Landgerichts München 1 verurteilte ihn wegen Anstiftung zur fortgesetzten Kuppelei zu sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung. Von der weiteren Anklage, Unzucht mit einem von ihm abhängigen weiblichen Lehrling, wurde er mangels Beweisen freigesprochen.
Gleichfalls verurteilt wurde der Schriftsteller und Journalist Siegfried Sommer, der Friedmann für die Treffen seine Wohnung zur Verfügung gestellt hatte. Gegner in der bayerischen Parteienlandschaft und in der Redaktion spielten den „Fall Friedmann“ zum öffentlichen Skandal hoch. Elf Tage nach seiner Verhaftung schied Werner Friedmann aus der Chefredaktion aus. „Damals habe ich zum ersten Mal rundum miterlebt, was es heißt, wenn ein Großer stolpert, wie dann die kleinen Hyänen ihn umkreisen und versuchen, ein Stück Fleisch vom Körper abzureißen“, schrieb später sein Kollege Hannes Obermaier.
Nach einer einjährigen Phase der Verbitterung und einem längeren Aufenthalt in Rom widmete sich Werner Friedmann ab April 1961 wieder der Zeitungsarbeit.
Als Herausgeber der Abendzeitung überarbeitete er Konzeption und äußere Gestalt des Blattes. In den sechziger Jahren erlebte die AZ ihre Blütezeit. Die Gesamtauflage stieg zwischen 1962 und 1968 von rund 100.000 auf 322.800 Exemplare.
Kurz vor seinem 60. Geburtstag starb der schwer zuckerkranke und an Durchblutungsstörungen leidende Werner Friedmann am 23. April 1969 an einem Herzinfarkt. Er befand sich im Auto auf dem Weg von einer Redaktionskonferenz zu einem Pferderennplatz. Nach seinem letzten Willen erschien in der AZ kein Nachruf. Friedmann hinterließ seine Frau und die Kinder Johannes, Anemone und Florentine. Anneliese Friedmann trat wenige Tage nach dem Tod ihres Mannes die Nachfolge in der Verlagsleitung der AZ an.
Werner Friedmann ist einer der wichtigsten Vertreter der Publizistik im Nachkriegsdeutschland. „Wir glauben, dass alle Journalisten in unserem Land und die ganze politisch denkende Bevölkerung einen fühlbaren Verlust erlitten haben“, würdigte Rudolf Augstein im Namen der Spiegel-Redaktion den Verstorbenen. Das Schweizer Tagblatt stellte Friedmann auf eine Stufe mit Augstein, Karl Korn, Henri Nannen und Marion Gräfin Dönhoff. Der verstorbene SZ-Redakteur Herbert Riehl-Heyse beschrieb Friedmann als „entschlossenen Realisator“, einen mit einer „idealtypischen Verbindung von Erwerbsinn und Idealismus“.
Die Nachfolger des Gründers: Anneliese und Dr. Johannes Friedmann
Anneliese Friedmann hat die Abendzeitung als Familienbetrieb fortgeführt und hielt am politisch freien Kurs des Gründers fest. Sie gilt als „Grande Dame der Münchner Publizistik“. Von der gelernten Journalistin gibt es viel zu lesen – über sie liegt wenig vor, etwa Meldungen über Auszeichnungen, die sie erhalten hat und Berichte von Politpartys, zu denen sie einlud.
Anneliese Friedmann wurde am 30. Mai 1927 im oberbayerischen Kirchseeon geboren und wuchs in Freising auf. Seit dem Jugendalter war sie Kunst und Kultur zugetan und wollte „mit 16 gern Schauspielerin und mit 18 Malerin“ werden, um schließlich – gegen den Willen ihrer Eltern – beim Journalismus zu landen. Während des Zweiten Weltkrieges schrieb sie als Schülerin für das Freisinger Tagblatt und erkannte schnell, was sie wollte: „Mehr sehen. Mehr wissen. Journalist werden“, wie sie bei einer Rede zum Paul-Klinger-Preis erklärte.
Mit einem Notabitur in der Tasche und „Hunger nicht nur auf Buttersemmeln, sondern auf Leben, Freiheit, Lernen“ begann sie nach Kriegsende ein Studium der Kunstgeschichte und Theaterkritik, welches sie nicht abschloss. 1947 besuchte die junge Frau den ersten Journalistenkurs in München nach dem Krieg. Leiter der „Journalistischen Fortbildungskurse“ war Otto Groth, neben Karl d’Ester wichtigster Vertreter der frühen deutschen Zeitungswissenschaft, Vorsitzender des Verbandes Bayerischer Berufsjournalisten und Träger des Bundesverdienstkreuzes.
Der damals schon bekannte Werner Friedmann lehrte dort Lokaljournalismus. Nach einjähriger Ausbildung übernahm die Süddeutsche Zeitung fünf Volontäre aus dem Seminar, darunter als einzige Frau Anneliese Friedmann. Um als Frau den Posten zu bekommen, verschwieg sie ihren Vornamen und unterzeichnete die Bewerbungsarbeit nur mit ihrem damaligen Nachnamen Schuller.
Anneliese Friedmann schrieb für die SZ über Lokales und Soziales und machte sich bald einen Namen. Ihre erste Seite 3-Reportage handelte von der Fließbandarbeit in einem Kamerawerk, wo es Frauen nicht als Zurücksetzung empfanden, weniger Lohn als die Männer zu erhalten. „Eintreten für die Gleichberechtigung war also früh angelegt – ich hörte nie mehr damit auf“. In den fünfziger Jahren leitete die Journalistin das Mode-Ressort der SZ und berichtete von den Modeschauen aus Paris. Außerdem schrieb sie in der Abendzeitung unter dem Pseudonym „Sibylle“ eine Mode- und Lifestyle-Kolumne. Werner Friedmann hatte ihr den Namen zugeteilt. „Sibylle“ war die Figur eines Romans, den der AZ-Gründer nie veröffentlicht hatte.
Nach den Lehrjahren bei SZ und AZ wurde Anneliese Friedmann 1960 vom Stern engagiert, für den sie wiederum als „Sibylle“ eine wöchentliche Kolumne schrieb – „eine ganze Seite mit Foto, das Thema selbst gewählt, unredigiert – Traum jedes Journalisten“. Unter Chefredakteur Henri Nannen hatten es Frauen „nicht leicht in der Redaktion, die sich als ein Gewächshaus berstender Virilität verstand. Nur Sibylle konnte unangefochten ihre zärtlichironischen (und zuweilen metallscharfen) Kolumnen schreiben“ (Harpprecht 2002).
Bundesweite Aufmerksamkeit wurde Anneliese Friedmann auch mit zugespitzten Beiträgen über das Abtreibungsrecht („Ich bin katholisch und nehme die Pille“) und den damaligen CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß mit der Überschrift „Warum ich gegen Strauß bin“ zuteil.
Den Betrieb der Abendzeitung hielt Werner Friedmann weitgehend von seiner Frau fern. Ihr Leben änderte sich schlagartig, als ihr Mann starb. Für die Stern-Kolumne blieb bald keine Zeit mehr. „Ich brauchte meine ganze Kraft, um die Abendzeitung am Leben zu erhalten. Plötzlich war ich Herausgeber, Verleger, davon hatte ich nie geträumt, es mir nie gewünscht, und, das machte es so schwierig, nie erlernt. Eine harte Zeit“, sagte sie in ihrer Rede zum Publizistikpreis.
In der Redaktion galt die „Starjournalistin“ – so bezeichnete sich Anneliese Friedmann in ihrer Rede zum Paul-Klinger-Preis – als überehrgeizig; sie „machte Vorschläge über Vorschläge, die wie Steine ins gut geölte Getriebe der Konferenz fielen“. Die Erbin musste sich einen spannungsfreien Umgangston mit den untergebenen Männern ernsthaft erarbeiten. Seit dieser Zeit bevorzugt Anneliese Friedmann die Bezeichnung Herausgeber und Verleger, denn das „ist wohl doch eine Männerrolle“. Das Impressum führt sie als Herausgeber, wenngleich ihr Sohn Johannes – „Deutschlands unsichtbarster Verleger“ (Burger 2000) – bereits seit über zehn Jahren in dieser Funktion verantwortlich zeichnet.
Werner Friedmann hatte in seinem Testament verfügt, dass Johannes Friedmann nach seinem 35. Geburtstag das Erbe als Gesellschafter des Süddeutschen Verlags und Herausgeber der AZ antreten soll. Dazu kam es 1986: Der Kölner Verleger Alfred Neven DuMont übertrug seine Anteile an der Abendzeitung an die Familie Friedmann und die Verwaltung der Geschäftsanteile ging auf Johannes Friedmann über. Er hält über die SV Dr. Johannes Friedmann GmbH & Co. KG 8,2 Prozent am Süddeutschen Verlag; Anneliese Friedmann und ihre Tochter Anemone Szczesny-Friedmann halten über die SV A. und A. Friedmann Holding GmbH 10,55 Prozent.
Anneliese Friedmann gehört dem Kuratorium der Stiftung Pinakothek der Moderne München an, ebenso den Fördervereinen mehrerer Münchner Theater, und hat viele Hilfsaktionen angeregt. Die Publizistin wurde mit dem Bayerischen Verdienstorden und der Bayerischen Staatsmedaille für soziale Verdienste ausgezeichnet.
Die Stunde null: Deutsche Presseausstellung 1948
Die Abendzeitung war die erste Zeitung in Westdeutschland, die täglich erschien. Das war damals eine Sensation, weil die anderen Zeitungen wegen der Papierknappheit nur zwei- oder dreimal pro Woche herauskamen. Sie entstand als Tageszeitung im Mai 1948 anlässlich der Deutschen Presseausstellung auf der Münchner Theresienhöhe. Veranstalter war die Arbeitsgemeinschaft der Zeitungsverleger-Verbände in der US-Zone.
Die Amerikaner sahen die 40-tägige Veranstaltung als Mittel der Umerziehung. Sie wollten den Deutschen zeigen, wie eine freie Presse arbeitet und welchen Stellenwert sie innerhalb einer Demokratie einnimmt. Während der Ausstellung sollte eine sechsseitige Zeitung erscheinen. Dafür stellten die Amerikaner 60 Tonnen Papier als Sonderzuteilung zur Verfügung. Rotation, Setzmaschinen, Prägepresse und Setzkästen wurden bei verschiedenen Druckereien gemietet und in der notdürftig reparierten Ausstellungshalle installiert. Die Besatzungsbehörde betraute Werner Friedmann mit der Chefredaktion.
Am 1. April 1948 bestellte Friedmann gut ein Dutzend Journalisten zu sich, vorwiegend Redakteure von Süddeutscher Zeitung und Münchner Merkur, und stellte ihnen das Projekt vor, das er einen „zu früh ausgeschlüpften Schmetterling“ nannte. Flott aufgemacht, schnell und trotzdem seriös, mit den klassischen Ressorts von Politik bis Sport, mit Lesegeschichten, Interviews, einem Hauch von Hollywood und viel human interest – so stellte sich Friedmann seine Zeitung vor.
Der Redaktionsschluss war für 11.30 Uhr terminiert, die Rotation lief um 13 Uhr an. Das Team war begeistert. „Nicht, weil wir uns mittags in der amerikanischen Kantine satt essen durften, sondern weil wir endlich schreiben konnten, anschaulich und farbig mit der Aussicht nicht auf zehn Zeilen gekürzt, vor allem aber täglich gedruckt zu werden. Nie wieder hat Schreiben an sich für Journalisten einen solchen Stellenwert erlangt wie damals für uns“, erinnert sich Anneliese Friedmann, die zu den Reportern der ersten Stunde gehörte.
Am 6. Mai 1948 setzte Bayerns Ministerpräsident Dr. Hans Ehard (CSU) die altersschwache Rotationsmaschine in Gang, welche die ersten Exemplare druckte. Die Besucher konnten die Redakteure durch große Fenster beim Schreiben, Redigieren und Auswählen von Fotos beobachten. Zum Team gehörten auch die späteren AZ-Redakteure Siegfried Sommer und Dorothea Federschmidt. Die Tageszeitung wurde schnell populär und erschien täglich, auch sonntags.
Sie kostete 20 Reichspfennig; Anzeigen gab es so gut wie keine. Das Blatt wurde per Post und Bahn über ganz Deutschland verbreitet. Es war modern gemacht, mit einem übersichtlichen Umbruch und Fotos schon auf der ersten Seite. Während der Ausstellung starteten zwei Aktionen: die Schönheitskonkurrenz „Die schönste Münchnerin“ und das Preisausschreiben „München in 100 Worten“. „Beides wirkte auf die Bewohner des grauen Trümmerhaufens, der München damals war, wie exotische Leuchtzeichen aus einer Welt, an die wir noch nicht zu glauben wagten“, so Anneliese Friedmann.
Ein Erfolg wurde auch die Presseausstellung selbst. 20.000 Karten gingen bereits im Vorverkauf weg. Reichsbahn und Münchner Verkehrsbetriebe setzten Sonderzüge und -busse ein, um den enormen Andrang zu bewältigen. Am Eröffnungstag wurde vor 50.000 Zuschauern das erste Feuerwerk nach dem Zweiten Weltkrieg in München abgebrannt. Bereits nach elf Tagen konnte der 100.000 Besucher gezählt werden. Als die Schau am 14. Juni 1948 ihre Pforten schloss, hatten 220.000 Interessierte einen Eindruck von der Pressearbeit gewonnen.
Werner Friedmann wollte die Tageszeitung als richtige Zeitung weiter betreiben und suchte den amerikanischen Presseoffizier Ernest Langendorf auf. Hauptschwierigkeit war der Papiermangel. Die bestehenden Verlage konnten von ihren Rationen kein Papier abgeben. Doch Langendorf imponierten die junge, engagierte Redaktion und Friedmanns Absicht, die Zeitung als Einrichtung zur Ausbildung und zum Training junger Journalisten zu betrachten. Deshalb durfte die Tageszeitung weiter erscheinen. Die Besatzungsbehörde garantierte aus den Beständen ihrer Neuen Zeitung für drei Monate die nötige Papiermenge und erteilte die Lizenz 23. Einige Tage wurde noch ohne Publikum in der Ausstellungshalle produziert. Dann war im Süddeutschen Verlag eine Rotationsmaschine für das damalige handlich-kleine „Berliner Format“ der AZ installiert.
Die erste Ausgabe der Abendzeitung
Die Tageszeitung kam mit dem neuen Titel Die Abendzeitung zum ersten Mal am 16. Juni 1948 heraus. Die Nummerierung wurde fortgesetzt und der Untertitel lautete „Unabhängiges Münchner Nachrichtenblatt“. In der unteren Hälfte der Titelseite befand sich ein kurzer Hinweis: „,Die Abendzeitung‘ ist kein Erwerbsunternehmen. Sie wird ihre gesamten Reinerträge der Förderung und Ausbildung junger Journalisten zur Verfügung stellen.“ Die AZ kostete weiter 20 Reichspfennig, war sechs Seiten stark, inhaltlich und graphisch deckungsgleich mit ihrer Vorgängerin.
Um eine Boulevardzeitung im heutigen Sinne handelte es sich nicht. Schriftgrad und Formulierung der Schlagzeile („Zweizonenrat als provisorische West-Regierung“) unterschieden sich kaum von den Überschriften konventioneller Zeitungen. Auf der ersten Seite fanden sich ausschließlich politische Meldungen, aufgelockert durch zwei Sportnachrichten und die Meldung über das Eintreffen eines Hollywood-Stars in Berlin. Typologische Elemente waren Kästen, Linien, Unterstreichungen, Fettungen und kursive Schriften.
Als Blickfang dienten zwei Schwarzweiß-Fotos, die einen sinkenden dänischen Passagierdampfer und eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Zerstörung eines französischen Dorfes durch SS-Truppen zeigten. Der Innenteil bestand aus Politik-, Wissenschafts- und Kulturnachrichten, Presseschauen, einer Bekanntmachung des Landrats, einer Kurzgeschichte, einem Beitrag über den Tagesablauf des Papstes und zwei Vorschlägen an die UNESCO „über die Hebung des Filmniveaus und die Förderung des Dokumentarfilms“. Dazu gab es je eine halbe Seite Sport und Händleranzeigen. Die letzte Seite gehörte dem Lokalen. Hier waren eine Gerichtsreportage, Radioprogramm, Wetterbericht, ein Gespräch mit einem Polizeifahnder über Taschendiebe, ein Beitrag zur Stadtgeschichte, ein Cartoon in münchnerischer Mundart und eine Meldung über eine Straßenverkehrserziehung zu finden.
Am 20./21. Juni 1948 trat in den westlichen Besatzungszonen die Währungsreform in Kraft. Die Auflage sank in den Keller, weil jeder seine 20 Pfennig, welche die Abendzeitung auch in der neuen Währung kostete, mehrfach umdrehte. Es dauerte ein Jahr, bis das Blatt eine Auflage von 50.000 Stück erreichte.
Das Werner-Friedmann-Institut
In einem „Memorandum für die Abendzeitung“ legte Werner Friedmann fest, dass etwa 85 Prozent der Reingewinne der Abendzeitung in ein Presse-Institut fließen werden, das jungen Journalisten eine kostenlose Ausbildung ermöglicht, und die restlichen 15 Prozent in Projekte zur Unterstützung bedürftiger und unverschuldet in Not geratener Journalisten. Vor diesem Hintergrund ist das Werner- Friedmann-Institut (WFI) in München entstanden.
Während eines USA-Aufenthalts 1949 hatte sich Friedmann in der Graduate School of Journalism der Columbia University in New York umgesehen und berichtete: „Die journalistische Fakultät ist im Übrigen kein Hörsaal, sie ist eine große Redaktion, in der alle Spezialgebiete vertreten sind und an der nicht Theoretiker Vorlesungen halten, sondern die besten Zeitungsleute des Landes sich abwechselnd bemühen, den jungen Leuten (...) zu zeigen, wie man eine Zeitung macht“.
Dieses Muster übernahm Friedmann und gründete im Gebäude des Süddeutschen Verlags das WFI, die erste auf Praxis ausgerichtete deutsche Journalistenschule. Einem Aufruf in der Abendzeitung vom 31. Januar 1949 folgten 1700 Bewerbungen aus ganz Deutschland. Einzureichen war eine 50-zeilige Probearbeit über eine Parlamentssitzung im Stadtrat oder Landtag oder über einen Besuch auf dem Polizeirevier. Nach einer Eignungsprüfung wurden 17 Männer und vier Frauen in die erste „Lehrredaktion“ aufgenommen.
Die Männer waren zwischen 22 und 26 Jahre alt, der Krieg hatte bei den meisten die Schulbildung unterbrochen. Seine Ansprüche an die Journalistenschüler formulierte Friedmann 1959 wie folgt: Um die Technik des Journalismus zu erlernen, sei „keineswegs die Lust am Fabulieren“ die wesentliche Voraussetzung, sondern „das Vermögen, ein Gespür für das öffentliche Interesse zu haben, richtig zu sehen, richtig zu hören und all das unverzerrt in gedrängter Form zu Papier bringen zu können, was man am richtigen Ort gesehen und gehört hat“. Das Entscheidende sei „die Flamme der Leidenschaft, die in einem wahren Journalisten brennen muss“.
Am 29. April 1949 wurde die Gründungsurkunde unterzeichnet, am 15. Juni das Institut eröffnet. 1953 gab Schulleiter Rolf Meyer das Lehrbuch „ABC des Reporters“ mit den „Zehn Geboten für Reporter“ heraus. Am 1. Oktober 1954 veröffentlichte die Schule zum ersten Mal die periodische Schrift „Praktischer Journalismus“. Bis zum zehnjährigen Jubiläum 1959 wendete der Verlag Die Abendzeitung knapp eine Million Mark (511.000 Euro) für die Ausbildung auf und trug bis zur Gründung der Deutschen Journalistenschule (DJS) am 17. September 1959 die Kosten allein.
Gründungsmitglieder des DJS-Trägervereins waren Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, Deutscher Journalistenverband und die ARD. Die DJS knüpfte an die Arbeit des WFI an. Bis zum 50. Jubiläum 1999 zählte die Einrichtung insgesamt 1597 Absolventen. Dem Förderverein gehörten 47 Mitglieder an, darunter auch weiter der Verlag Die Abendzeitung. Im Förderkreis waren 604 Mitglieder vertreten.
Die Entwicklung des Verlags bis heute
Nach der Gründung des WFI wandelte sich die Abendzeitung zügig von einem gemeinnützigen Unternehmen zu einer GmbH & Co. KG. Vom Januar 1951 bis zum Oktober 1953 war im Impressum vermerkt: „Der Reingewinn der ,Abendzeitung‘ dient der Ausbildung und Förderung des journalistischen Nachwuchses in Deutschland.“ Der Verlag Die Abendzeitung wurde im Juli 1950 als GmbH gegründet und war fortan im Impressum auch als Herausgeber vermerkt.
Gesellschafter waren Friedmann mit zwei Dritteln der Anteile und mit einem Drittel Hans Dürrmeier, Verlagsdirektor und später Geschäftsführer und Herausgeber der Süddeutschen Zeitung. Bis Januar 1954 erschien im Impressum noch der Hinweis, dass aus dem Ertrag der AZ Mittel zur Ausbildung des journalistischen Nachwuchses zur Verfügung gestellt werden. Dann fehlten Hinweise auf das WFI ganz. Ein Grund für das Einstellen der Gemeinnützigkeit und die Auflösung des WFI war die finanzielle Belastung, die auf Dauer von einem Privatunternehmen nicht allein getragen werden konnte.
Mit der Gründung einer bis heute bestehenden Kommanditgesellschaft am 1. Januar 1958 änderten sich die Besitzverhältnisse erneut. Kommanditisten waren wiederum Friedmann und Dürrmeier. Nach Friedmanns Tod trat Anneliese Friedmann als Kommanditistin ein. Friedmanns Beteiligung an der SZ wurde von der Erbengemeinschaft Friedmann übernommen.
Im April 1971 gingen Dürrmeiers Ein-Drittel-Anteile in den Besitz des Kölner Verlegers Alfred Neven DuMont über. Er und Friedmann waren befreundet und hatten aufgrund der liberalen Tradition ihrer Häuser eine Zusammenarbeit geplant. DuMonts Einstieg diente der Stützung des Blattes. Zu seinen Initiativen gehörten die Ausarbeitung eines Redaktionsstatuts und die wirtschaftliche Konsolidierung der Nürnberger Ausgabe.
Er zeigte auch Engagement im elektronischen Bereich. Als erste Münchner Zeitung erschien die AZ 1982 mit einer Bildschirmtext-Ausgabe, die aber wegen geringer Resonanz 1985 eingestellt wurde. Zudem beteiligte er das Blatt beim Verlegerfernsehen in Hamburg und beim Kabelpilotprojekt in Ludwigshafen. 1986 gingen seine Anteile zurück an die Familie Friedmann.
Die Abendzeitung wurde mehrere Jahrzehnte beim großen Nachbarn Süddeutscher Verlag gedruckt. Das Verhältnis verlief keineswegs spannungsfrei, wie Anneliese Friedmann (2001) zur Einweihung der eigenen AZ-Druckerei deutlich machte: „Die Setzer in der SV-Druckerei sprachen von der Abendzeitung als dem ,Blattl‘, während die ,Süddeutsche‘ respektvoll ,Die Zeitung‘ genannt wurde. Ein Denken, das vom Portier bis zur Unternehmensspitze durchgängig war. Wir haben es überlebt. Aber schließlich sind Druckverträge keine Eheversprechen, auch kein Glaubensbekenntnis, sondern pure Dienstleistung. So stehe ich heute hier mit einer gewissen Genugtuung.“
Die Süddeutsche Societäts-Druckerei in Maisach wurde am 17. Mai 2001 offiziell eingeweiht. Seitdem kann sie mit zwei Druckmaschinen 48 Seiten im Vierfarbdruck herstellen, theoretisch 70.000 Zeitungen in der Stunde. Durch die Schnelligkeit der Maschinen kann die Zeitung so spät wie möglich angedruckt werden und so früh wie möglich auf dem Markt sein, ohne mehr auf die Druckzeiten der SZ Rücksicht nehmen zu müssen. Der Verlag investierte rund 20 Millionen Euro in das Druckzentrum. Als Partner wurde die Frankfurter Societäts-Druckerei gewonnen, die Süddeutschland mit einer aktuelleren Ausgabe der FAZ beliefern wollte. Auch die Herausgabe einer Regionalausgabe für München und Süddeutschland betrachteten die Frankfurter als interessante Option.
Die Abendzeitung war nie ein Abkömmling des Süddeutschen Verlags und gehört auch keiner anderen Verlagsgruppe an. Der mittelständische Zeitungsbetrieb beschäftigt nach einer Auskunft des Personalbüros vom 30. April 2003 am Standort München 96 Mitarbeiter in der Redaktion und 124 im kaufmännischen Bereich. In Nürnberg sind 24 Beschäftigte in der Redaktion und 15 Kaufleute angestellt.
Zum Verlag Die Abendzeitung GmbH & Co. KG gehören der Verlag Die Abendzeitung GmbH & Co 8 Uhr-Blatt KG, die Süddeutsche Societäts-Druckerei GmbH, die Internet-Firma Kontexxt GmbH & Co. KG, das Repro-Studio München (RSM), die Vermögensverwaltungs-GmbH, die Kunden-Service-Center GmbH & Co. KG (KSC) und die Anzeigen Marketing München GmbH & Co. KG (AMM), die auch Anzeigen für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Beilage „Portfolio“ der Financial Times Deutschland in der AZ akquiriert. Der Verlag hält 24,6 Prozent am 1985 gegründeten Münchner Privatsender Radio Gong und ist über die Mediengesellschaft Bayerischer Tageszeitungen für Kabelkommunikation am 1988 gestarteten Privatradio Antenne Bayern beteiligt. Durch diese Verbindungen besteht die Möglichkeit des Cross-Marketings zwischen Zeitung und Rundfunk.
Expansionsbestrebungen des Verlags
Abendzeitung Nürnberg
Seit 1964 erscheint die Abendzeitung auch in Nürnberg, nachdem es dem Verlag gelang, das Nürnberger 8 Uhr-Blatt zu kaufen. Friedmann übernahm zwei Drittel der Anteile an der Noris Verlag GmbH, die auch eine Redaktion in München unterhalten hatte, und Dürrmeier ein Drittel. Vor dem Kauf betrug die Auflage der Zeitung rund 52.000 Exemplare.
Das 8 Uhr-Blatt erschien zum ersten Mal 1919 im katholischen Sebaldus-Verlag. Es hatte keine festen Bezieher und wurde nur im Straßenhandel abgesetzt. Schon wenige Jahre nach der Gründung war das 8 Uhr-Blatt eine der auflagenstärksten Zeitungen in Nürnberg. Zum einen war in den unruhigen politischen Zeiten nach dem verlorenen Krieg der Hunger der Menschen nach Nachrichten groß. Zum anderen verdankte die Zeitung ihren Erfolg dem Sportteil, denn der 1. FC Nürnberg und die Spielvereinigung Fürth stellten in den zwanziger Jahren mehrfach den Deutschen Fußballmeister.
Die Anhänger der Teams gehörten zu den treuesten Lesern der Zeitung. Im Jahr 1930 verkaufte der Erzbischof von Bamberg, Jacobus von Hauck, das ertragreiche, aber immer mehr im Boulevardstil gemachte Blatt an den Verleger der Sportzeitung Kicker, Max Willmy. Auch während der Wirtschaftskrise erschien das 8 Uhr-Blatt siebenmal in der Woche. Am 15. April 1945 musste es sein Erscheinen einstellen, kam aber am 29. August 1949 wieder auf den Markt.
Bis auf blaue Raster im Zeitungskopf und in den Seitenköpfen gibt es zwischen der Nürnberger Ausgabe („Nord“) und der Münchner AZ („Süd“) keine optischen Unterschiede. Die AZ-Nord trägt den Untertitel 8 Uhr-Blatt und gliedert sich in zwei Bücher. Die Redaktion bezieht den Mantel aus München und produziert Lokalteil, Feuilleton und Sport selbst. Wegen des Lokalbezugs unterscheiden sich in der Regel die Schlagzeilen. Gedruckt wird die Ausgabe Nord in Maisach.
Ausgaben Stuttgart und Augsburg
Ende der sechziger Jahre wollte Werner Friedmann mit Springers Bild allmählich bundesweit konkurrieren und gründete im September 1968 die West-Ausgabe Stuttgart. Das Blatt wurde mit Minimalaufwand produziert. Zwei Redakteure gestalteten täglich ein bis zwei Lokalseiten und übernahmen den Münchner Mantel. Die Auflage pendelte sich bei etwa 5000 Exemplaren ein. Im Juli 1969 stellte Anneliese Friedmann das unrentable Projekt ein.
1990 wollte der Verlag in Augsburg und großen Teilen Schwabens Fuß fassen. Die „Ausgabe für Schwaben“ startete am 3. März mit 50.000 Exemplaren und konzentrierte sich im Lokalen, Feuilleton und Sport auf die Geschehnisse im Regierungsbezirk. Möglich wurde der Einstieg in den Augsburger Zeitungsmarkt durch den Kauf der Schwäbischen Neuen Presse, eines über 25 Jahre lang einmal wöchentlich erschienenen Boulevardblattes.
Der Versuch neben der marktbeherrschenden Augsburger Allgemeinen Zeitung eine neue Tageszeitung zu etablieren, scheiterte. Mit der Monopolzeitung stritt sich die Abendzeitung gerichtlich um das Kürzel „AZ“. Die Stadtverwaltung wollte die „stummen Verkäufer“ verbannen und beschloss eine Gebührenerhöhung für diese Geräte. Ein lokaler Politiker unkte, der Neuling aus München habe das „Augsburger Sauna- und Stammtischkartell“ in seiner Wirkung unterschätzt.
Geschäftsführer Franz Mattes stoppte das Experiment im September 1990. Fortan gab es nur noch Augsburg-Supplements in der München-Ausgabe. Die 26-köpfige Redaktion wurde auf fünf Kräfte plus Volontärin reduziert. Mattes begründete die Maßnahme mit zu geringem Anzeigenaufkommen und der mäßigen Auflage von weit unter den angestrebten 15.000 Exemplaren. Außerdem wollte man durch die Augsburger Verluste das Stammhaus nicht gefährden. Am 13. Januar 1991 verschwand die Schwaben-Ausgabe endgültig vom Markt.
AZ am Sonntag
Die AZ am Sonntag hatte am 13. Dezember 1959 Premiere. Sie war acht Seiten dünn und sportlastig – „ein mageres Sonntagsblatt, das weder dem Niveau der täglichen Ausgabe entsprach noch in ernsthaften Wettbewerb mit dem Springerblatt „Bild am Sonntag“ ] treten konnte“. Nach Springers Ankündigung einer Münchner Bild-Ausgabe hatte Werner Friedmann neue Pläne mit seiner Sonntagszeitung.
Am 18. August 1968 erschien eine rundum renovierte AZ am Sonntag: im halben Format der normalen Ausgabe, 50 bis 60 Seiten dick und mit einer Startauflage von 250.000 Exemplaren. Inhaltliche Schwerpunkte waren Sport und Freizeit, Rätsel, Film und Fernsehen, Theater, Musik, Mode und eine Prise Sex. Ihr Vertrieb sollte auf Bayern beschränkt bleiben, solange Springer auf lokale Inserate in Bild verzichtete.
Auch aus politischen Gründen positionierte Friedmann die Sonntags-AZ als Gegengewicht zur Bild am Sonntag. Am 1. Juli 1969 stellte seine Witwe die Zeitung ein, weil das Blatt aufgrund vertrieblicher Probleme auf keiner gesicherten finanziellen Grundlage gestanden hatte. Neue Pläne für die Herausgabe einer Sonntags-AZ wurden nicht umgesetzt.
Das Redaktionsstatut
Im Zusammenhang mit der Pressekonzentration in den sechziger und siebziger Jahren wurde die innere Pressefreiheit zu einem kontroversen Thema. Viele Redaktionen forderten mehr Demokratie ein, weil das Betriebsverfassungsgesetz nur eingeschränkt in der Presse galt und gilt. Der Tendenzschutzparagraph verwehrte dem Betriebsrat ein volles Mitbestimmungsrecht bei Kündigungen von Redakteuren.
Zudem musste der Verleger die Redaktion nicht über wirtschaftliche Angelegenheiten des Verlags informieren. Sonst würden die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit und die Eigentumsgarantie auf Kosten des Verlegers zu stark beschnitten, argumentierte der Gesetzgeber. Am Verlegereinspruch scheiterte in den siebziger Jahren die Absicht der sozialliberalen Bundesregierung, ein Presserechtsrahmengesetz zu beschließen. Um die Kompetenzfragen zu regeln, vereinbarten in dieser Zeit gut zwei Dutzend Presseunternehmen innerbetriebliche Redaktionsstatute. Die meisten sind wieder verschwunden, weil die Zeitung eingestellt oder die Vereinbarung vom Verlag gekündigt wurde. Auch das 1972 ins Leben gerufene Statut der Abendzeitung ist zu Ende März 2003 vom Herausgeber gekündigt worden, wobei hier noch juristische Fragen zu klären sind.
Die AZ war die erste Kaufzeitung mit solch einem Abkommen zwischen Herausgeber und Redaktion. Die Redakteure vertraten die Meinung, dass der Konkurrenzkampf der Verleger „die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit der Journalisten, das Recht auf Information der Leser und damit die Meinungsbildung in unserem Land“ gefährdet. Hintergrund war die Expansion der Bild-Zeitung, der die AZ am Sonntag trotz beachtlicher Auflage zum Opfer fiel. Nach langer Diskussion wurden sich beide Seiten über die Inhalte des Statuts einig. Paragraph 1 des Papiers (Fassung vom 1.4.1991) definierte das Selbstverständnis und den politischen Kurs der AZ:
„Die Abendzeitung ist eine kritisch-liberale Straßenverkaufszeitung und Abo-Zeitung besonderen Charakters. Sie bemüht sich um unverfälschte und möglichst vollständige Information über wesentliche Vorgänge auf politischen, kulturellen und anderen Gebieten von allgemeinem öffentlichen Interesse, und kommentiert und erläutert sie. Sie misst dem kommunalen und regionalen Geschehen besonderes Gewicht bei und berücksichtigt die Eigenarten der Stadt München. Sie setzt sich zum Ziel, den Typ einer engagierten, unterhaltsamen und bürgernahen Boulevardzeitung und Abo-Zeitung fortzuentwickeln, wie er von Werner Friedmann geschaffen und verwirklicht worden ist. Die Abendzeitung ist unabhängig von politischen Parteien und von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder konfessionellen Interessengruppierungen. Die Abendzeitung bekennt sich zu der im Grundgesetz gewollten freiheitlich-demokratischen Ordnung unseres Staates und tritt für die fortschreitende Verwirklichung liberaler und sozialer Prinzipien ein. Sie achtet die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit des Einzelnen, lehnt aber alle Bestrebungen radikaler Gruppen und Parteien ab, welche die Freiheit des Einzelnen oder die Ordnung unseres Staates gefährden könnten.“
Die Redaktion wurde durch einen Beirat von fünf Redakteuren vertreten, der von der Redakteursversammlung gewählt wurde. Die Beiratsmitglieder genossen Kündigungsschutz und konnten zusammentreten, wenn sich nach Auffassung der Antragsteller die grundsätzliche Haltung der AZ geändert hatte oder wenn in Einzelfällen von ihr abgewichen worden war.
Alle Redakteure hatten bei zwölfmonatiger Gehaltsfortzahlung ein Kündigungsrecht, wäre die Grundhaltung der Zeitung geändert worden. Nach Paragraph 7 musste eine Unterrichtung des Beirats durch den Herausgeber in folgenden Fällen erfolgen: Wechsel in der Person des Herausgebers bzw. in den Mitgliedern des Herausgebergremiums, Änderung der Beteiligungsverhältnisse und anstehende personelle Veränderungen in der Chefredaktion oder in den Positionen der im Impressum als Ressortleiter verzeichneten Redakteure. Vor Einstellungen musste der Herausgeber bzw. die Chefredaktion dem Bewerber ein Gespräch mit dem Beirat oder dessen Vorsitzenden vorschlagen. Wenn der Beirat mehrheitlich von der Einstellung, Versetzung oder Entlassung abriet, sollte der Herausgeber oder die Chefredaktion die dabei geltend gemachten Gründe in die Überlegungen einbeziehen. Mindestens einmal im Jahr musste der Beirat über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung des Unternehmens informiert werden.
Eine Schwachstelle des Statuts war die Möglichkeit, es mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des ersten Kalenderquartals einseitig, also auch von Verlegerseite, zu kündigen. Nachdem Johannes Friedmann davon inzwischen Gebrauch gemacht hat mit der Begründung, „Nebenregierungen in einem Unternehmen“ seien nicht mehr zeitgemäß, wurde allerdings der ehemalige Paragraph 1 des Statuts weiterhin zum Bestandteil des Arbeitsvertrags für angestellte Redakteure des Verlags erklärt.
Christian Adler