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Journalisten sind die Bergleute von morgen

Bertelsmann, WAZ-Mediengruppe, DuMont-Schauberg – drei der größeren Medienkonzerne der Bundesrepublik haben ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen. Dazu kommen noch einmal zahlreiche mittelständische Verlage wie Ippen und Lensing-Wolff. NRW ist mit Abstand Deutschlands Printland Nummer 1. Wie gut, dass es auch das Land mit der größten Strukturwandelerfahrung ist, findet NEWSROOM-Autor Stefan Laurin.

Bochum - Beginnen wir den Blick auf die Zukunft des Journalismus in NRW nicht an den Ufern von Rhein und Ruhr sondern an dem der Elbe. In einer NDR-Dokumentation über das Ende der Financial Times Deutschland (FTD) sagte der FTD-Reporter Andrzej Rybak: „Die Journalisten sind wahrscheinlich die Bergarbeiter des 21. Jahrhunderts“.

Mit Bergarbeitern kennen sie sich aus in Nordrhein-Westfalen: 400.000 von ihnen haben in den vergangenen 50 Jahren ihren Job verloren. David Schraven, Vorstandsmitglied des Netzwerks Recherche, sieht die Branche bundesweit vor einem vergleichbar großem Umbruch: „In den kommenden zehn Jahren werden deutschlandweit etliche Journalisten ihren Job verlieren. Das hängt nicht nur mit dem Wegbrechen von Lesern und Anzeigenkunden im Print-Bereich zusammen, sondern auch mit der Automatisierung, die künftig auch Journalisten betreffen wird.“

Schraven glaubt an die Spezialisierung

In den USA bieten Unternehmen wie Narrative Science Computerprogramme an, die Artikel schreiben – vornehmlich Meldungen in den Bereichen Sport und Wirtschaft: Sie machen aus Daten Texte. Mehrere Millionen Baseball-Spielberichte sind so bereits entstanden, bald sollen die Programme auch Texte zu komplexeren Themen formulieren können.

David Schraven: „Künftig werden vor allem die von uns einen sicheren Job haben, die Spezialisten sind: Wer sich in zwei oder drei Bereichen sehr gut auskennt, dazu noch einen prägnanten Schreibstil hat und in der Lage ist, seine Themen für verschiedene Medien aufzubereiten, aus einer Geschichte eine Reportage, ein multimediales Online-Stück und vielleicht noch einen Fernsehbeitrag machen kann, hat gute Chancen, auch in Zukunft Arbeit zu haben.“

Von Bochum nach Nordafrika

Den Weg der Spezialisierung will auch Chantal Stauder gehen. Die 25-jährige Studentin der Fächer Religionswissenschaft und Philosophie an der Ruhr Universität Bochum ist freie Mitarbeiterin der WAZ und des Stadtmagazins Coolibri. Zur Zeit lernt sie arabisch und besucht häufig Nordafrika: „Im kommenden Jahr beginne ich dann damit, Geschichten aus Nordafrika zu veröffentlichen. Erst in einem Blog, den ich gerade aufbaue und der künftigen Abnehmern zeigt, was für Geschichten ich anbiete.“ Ziel: Freiberufliche Nordafrika-Korrespondentin.

Faktenjournalismus stirbt

Wer sich nicht wie Stauder spezialisiert wird Probleme bekommen. Schraven: „Für alle, die Eins-zu-Eins Geschichten machen, die nur Fakten wiedergeben, wird es sehr schwer werden.“

Schwerer noch als heute, denn der Stellenabbau hat die Branche im bevölkerungsreichsten Bundesland schon vor Jahren erreicht: 300 Redakteursstellen baute die WAZ-Mediengruppe seit 2008 ab, eine weitere Sparrunde ist angekündigt. Und es ist nicht nur die WAZ: Die Rheinische Post plant den Abbau von Stellen und die Münstersche Zeitung stellt die Lokalredaktion in Rheine ein. Ein Blick in die IVW-Verbreitungsanalyse zeigt: Alle Verlage aus NRW verlieren in ihren Stammmärkten an Auflage: Zwischen vier (DuMont-Schauberg in Köln) und zwölf Prozent (WAZ/WR in Dortmund).

Zeitungsforscher Horst Röper: Zeitungen werden weitere Lokalredaktionen schließen

Der Dortmunder Zeitungsforscher Horst Röper geht davon aus, das weitere Lokalredaktionen geschlossen werden: „Die Zeitungen werden sich aus den Bereichen zurückziehen, die sich für sie nicht lohnen.“ Wie viele Jobs verloren gehen, darüber will Röper nicht spekulieren, aber er ist sich sicher: „Nur da, wo es einen hohen Anteil an Zweit- und Drittlesern gibt, werden sich vor Ort mehrerer Lokalzeitungen halten können.“

In vielen Städten gibt es schon längst keinen Wettbewerb zwischen verschiedenen Lokalredaktionen mehr. Die WAZ hat sich aus den meisten Städten des Kreises Recklinghausen zurückgezogen, die Ruhr Nachrichten haben ihre Lokalredaktionen in Gelsenkirchen, Gladbeck und Bottrop geschlossen.

Für Röper gibt es zwei Möglichkeiten, welche die Verlage beschreiten können, um in Zukunft zu bestehen: „Die Verlage arbeiten an Bezahlmodellen für ihre Online-Ausgaben. Ob es gelingen wird, so etwas zu etablieren ist eine andere Frage, aber dass sie es versuchen ist richtig.“

Auch dass die Verlage längst mehr sind als reine Zeitungshäuser hält Röper für eine richtige Entwicklung: „Die Verlage sind keine monomedialen Unternehmen mehr. Differenzierung ist wichtig und die meisten sind auf diesem Weg schon sehr weit und an TV- und Radio-Sendern beteiligt oder in den Postvertrieb eingestiegen.“

Leonard Novy: Verlage erleben strukturelle Krise

Ob das alles ausreicht? Leonard Novy, der gemeinsam mit Lutz Hachmeister das Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) leitet, glaubt das nicht: „Die Verlage erleben eine strukturelle Krise, keine konjunkturelle.“

Die Medien- und Verlagslandschaft, sagt Novy, wird sich in wenigen Jahren radikal verändern. Und so gut wie er Bezahlsysteme, wie sie gerade der Axel-Springer-Verlag bei der Welt eingerichtet hat, findet, glaubt Novy nicht, dass sie reichen werden, um eine pluralistische Medienlandschaft zu erhalten und zu finanzieren: „Die Verlage müssen sich gegenüber Blogs und zivilgesellschaftlichen Gruppen öffnen und sie in ihre Angebote integrieren. Wir müssen aber auch über andere Möglichkeiten der Medienfinanzierung nachdenken: Stiftungen oder Genossenschaften können gerade auf lokaler Ebene eine Chance sein.“

Irgendwann, glaubt Leonard Novy, werden Medienunternehmen neue Geschäftsmodelle gefunden haben – nur wie lange es dauert, bis es soweit ist, kann auch er nicht sagen. Aber er ist sich sicher, dass wenn es soweit ist deutlicher weniger Journalisten einen Job haben werden als heute.

Stefan Laurin

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