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"Neues Deutschland": Digital-Archiv wird kostenpflichtig

Auch im Sozialismus gibt es nichts geschenkt. Das "Neue Deutschland", Ende der 80er Jahre Auflagen-Millionär in Ost-Deutschland, macht sich mit neuer Führungskraft fit für die Zukunft. Geschäftsführer Olaf Koppe glaubt an Print, will aber mehr Internet.

Berlin - Die überregionale Zeitung, die laut IVW immer noch die höchste Auflage aller überregionalen, seriösen Blätter in den ostdeutschen Bundesländern aufweist, startet ein wenig ruppig in die neue Zeit. Gestern erklärte das Unternehmen fast lapidar, dass es einen neuen Chefredakteur berufen habe; erst auf Nachfrage wird deutlich, dass das einstige SED-Kampfblatt einen Generationenwechsel einleitet, über den schon länger in der Firma beratschlagt wird.

Amtsinhaber Jürgen Reents, 62 Jahre alt, kam 1999 zur sozialistischen Tageszeitung. Ihm folgt Tom Strohschneider, 38 Jahre jung. Er tritt schon am 1. August in die Chefredaktion ein und soll die Redaktion ab Anfang 2013 alleine führen. Bis dahin wird Reents Strohschneider "einarbeiten". "Wir wollen einen ruhigen Übergang, deshalb haben wir uns für die Doppelspitze entschieden", erklärt Geschäftsführer Kopp (54).

 

Titelseite "Neues Deutschland"

 

Bis Ende des Jahres soll Strohschneider, der beim "Neuen Deutschland" volontiert und für "Freitag" oder die einst alternative "tageszeitung" gearbeitet hat, Ideen für den Online-Bereich einbringen und umsetzen, den Verlag fit machen für "Social Media". 

"Wir wollen weg von der reinen Contentwiedergabe im Onlinebereich", erklärt Koppe. Ziel sei, so Koppe, über ein verstärktes Engagement im Online-Bereich und in den Sozialen Netzwerken jüngere Leser an die Marke "Neues Deutschland" heranzuführen, ihnen das Blatt schmackhaft zu machen.

"Natürlich müssen wir etwas machen. Wie überall werden unsere Abonnenten natürlich auch älter", sagt Koppe; der Alters-Durchschnitt unter der "ND"-Leserschaft beträgt laut Koppe 60 Jahre.

Dazu gehört auch ein neues Abo-Modell - unter der Woche gibt es den Zugang zum digitalen E-Paper, am Samstag die gedruckte Zeitung im Briefkasten. Seine Zeitung zu einem Wochenblatt umfunktionieren will Koppe aber auf keinen Fall. "Wir sind und bleiben eine Tageszeitung", betont Olaf Koppe.

Geld möchte der Verlag mit seinem wertvollen Zeitungsarchiv verdienen. Die Abo-Zeitung erschien das erste Mal am 23. April 1946. Derzeit werde das Archiv digitalisiert; die Layout- und Texterkennung muss funktionieren, wenn Leser auf das Archiv zugreifen sollen. Den Archiv-Zugang möchte das "Neue Deutschland" kostenpflichtig einrichten. Wer recherchieren möchte, was Erich Honecker gesagt hat oder wie der Bau der Mauer in Ostdeutschland erklärt wurde, muss dann dafür bezahlen.

Das "Neue Deutschland" verkauft heute täglich 35.570 Exemplare. Das Ost-Berliner Blatt konkurriert mit Zeitungen wie "Junge Welt", "tageszeitung", Jungle World" oder dem Wochenblatt "Der Freitag" von Jakob Augstein. Auf dem linken Spektrum in Deutschland gibt es also einige Zeitungen; keines verfügt aber über genügend Reserven für große Sprünge.

Eine Gegen-Öffentlichkeit in der Größenordnung der "Bild"? Utopisch.

Bülend Ürük