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Zeitungsforscher Günther Rager: FTD ist ein Opfer des Wandels

„Die Financial Times Deutschland ist kein Opfer der Zeitungskrise, eher eines der Wirtschaftskrise – doch vor allem ein Opfer des Wandels“, erklärt der renommierte Dortmunder Zeitungsforscher Günther Rager.

Dortmund - Dabei sind die Probleme alles andere als neu, der Strukturwandel in der Zeitungslandschaft begleitet uns seit Jahren. Die Financial Times Deutschland, im Jahr 2000 euphorisch gestartet, soll in den vergangenen zwölf Jahren insgesamt 250 Millionen Euro Verlust gemacht haben, die Frankfurter Rundschau jährlich rund 20 Millionen. Die Kurve zeigte schon lange nach unten, doch mit der Insolvenz der Nachrichtenagentur dapd scheint nun ein Damm gebrochen.

Die Probleme sind bekannt, sie betreffen nahezu jede Zeitung im Land: Die Auflagen befinden sich im Sinkflug, noch stärker als die Abozahlen geht der Einzelverkauf zurück. Jüngere Leser sind nur noch schwer für das Medium zu gewinnen. Dazu kommt, dass sich die Kosten- und Erlösstruktur für Zeitungsverlage dramatisch verändert hat. Seit einigen Jahren machen nicht mehr die Anzeigen, sondern der Vertrieb den größten Teil des Erlöses aus. Für das kommende Jahr werden weitere dramatische Verluste im Anzeigengeschäft prognostiziert.

 

Unser Autor Prof. Dr. Günther Rager (69) ist Gesellschafter der mct media consulting team Dortmund und arbeitete bis 2009 als Professor am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund.

 

Es wird also nicht besser. Da ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht nur logisch, dass die größten Verlustbringer zuerst vom Markt genommen werden. Die FTD hat die Gewinnschwelle offenbar nie überschritten – da lautete die Frage nicht, ob, sondern wann es passieren würde.

Und warum die Financial Times Deutschland, eine Zeitung, der von allen Seiten hohe Qualität und Modernität bestätigt wird? Der Frankfurter Rundschau attestierten manchen Kritiker Managementfehler und eine falsche Balance zwischen regionalen und nationalen Themen – und suggerieren damit, dass das Blatt mit einer anderen Ausrichtung hätte profitabel geführt werden können.

Bei der Financial Times Deutschland lag der Wurm jedenfalls nicht im Redaktionellen. Der Fall der FTD macht endgültig klar, dass es um Strukturwandel geht. Strukturwandel hat nicht unbedingt etwas mit Krise zu tun, aber mit Veränderungen im Markt.

Wir im Ruhrgebiet kennen das Phänomen: Auch eine hochmoderne Kokerei kann dicht gemacht werden, wenn das Produkt auf dem Markt keine Chance mehr hat. Dabei wird Koks immer noch benötigt, nur kommt er nun eben woanders her. Übertragen auf das Produkt Wirtschaftsnachrichten: Sie werden gebraucht und nachgefragt wie eh und je, sie sind sogar so wichtig wie lange nicht.

Allerdings holt die Zielgruppe sie sich immer häufiger woanders her – aus dem Internet, wenn es um schnelle, aktuelle Branchennews und Entwicklungen geht und aus überregionalen Tages- und Wochenzeitungen, die in den vergangenen Jahren in ihre Wirtschaftsressorts investiert haben.

Der Markt für die spezialisierte Wirtschaftspresse war immer eng und ist noch enger geworden, und er hat sich anders entwickelt, als man es im Boom-Jahr 2000 erwartet hat. Zwei täglich erscheinende Wirtschaftsblätter haben Frische in die Wirtschaftspresse gebracht und der Vielfalt gedient, doch nicht nur Wirtschaftsjournalisten wissen, dass Verlage sich damit langfristig nicht zufrieden geben können.

Die FTD war in diesem Markt Zweiter hinter dem Handelsblatt – ein Handicap. Denn wenn gespart werden muss, dann wird an ihnen gespart, bei Anzeigen ebenso wie bei Abos.

Insofern ist die Financial Times Deutschland kein Opfer der Zeitungskrise, eher eines der Wirtschaftskrise – doch vor allem ein Opfer des Wandels.

Günther Rager