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25 Jahre Journalistinnenbund: "Noch nie gab es eine so gut ausgebildete Frauengeneration in den Medien"

"Je mehr Kolleginnen am medialen Blick auf die Welt beteiligt sind, umso vielfältiger, tiefer, differenzierter und bunter wird die Berichterstattung", sagt Andrea Ernst, Chefin vom Journalistinnenbund.

Berlin - Im NEWSROOM-Interview erklärt Andrea Ernst, im Hauptberuf stellvertretende Abteilungsleiterin „Religion und Bildung“ beim Westdeutschen Rundfunk und verantwortlich für verschiedene ARD-Produktionen wie „Planet Wissen“, „Planet Schule“ und „tag7“, dass sie Initiativen wie "Pro Quote" begrüßt, die sie nicht als Konkurrenz betrachtet.

Frau Ernst, Sie sind schon lange im Journalismus aktiv. Wie hat sich das Frauenbild bei den Medienmachern geändert?

Andrea Ernst: Die Geschlechterbeziehungen haben sich radikal verändert - und damit auch die traditionellen "Bilder". Was junge Männer und Frauen heute voneinander erwarten, mit welchen Selbstverständnis sie ihre Zukunft planen, was sie privat und beruflich erhoffen - all das kann mit den 50er Jahren nicht verglichen werden. Das ist eine Revolution: Noch nie gab es eine so gut ausgebildete Frauengeneration, die ihre Vorstellungen umsetzen will: als Journalistinnen, Autorinnen, Texterinnen, Regisseurinnen, Producerinnen, Drehbuchschreiberinnen  - im gesamten Medienspektrum - von PR und Film bis Print, Hörfunk, Fernsehen oder Internet. All das ist spürbar, sichtbar, lesbar und hörbar - und öffnet damit DIE Chance, die Qualitätsfrage im Journalismus neu zu stellen. Je mehr Kolleginnen am medialen Blick auf die Welt beteiligt sind, um so vielfältiger, tiefer, differenzierter und bunter wird die Berichterstattung.

Gibt es in den Redaktionen noch Schwierigkeiten zwischen Frauen und  Männern? Welche Unterschiede können Sie heute noch feststellen?

Andrea Ernst: Die "harten" Ressorts und Themen, wie Wirtschaft und Finanzen, Innen- und Außenpolitik haben nach wie vor eine ausgesprägt männliche Sicht auf die Welt - diese Beschränkung schadet uns allen. Ein Beispiel: Das wichtigste Kriterium unserer journalistischen Arbeit ist die "Relevanz". Diese kann für beide Geschlechter absolut Unterschiedliches bedeuten. Das klassische Beispiel haben wir im "harten" Ressort der Kriegsberichterstattung. Reporterinnen, die in Krisenregionen arbeiten, bringen durchgehend andere Texte, Bilder und Geschichten aus den Regionen mit, als jene, die wir traditionell von den Kollegen kennen. Das liegt einerseits am besseren Zugang der Reporerinnen zu den privaten Bereichen, zu den Familien und Flüchtlingen - man denke nur an die arabische Region. Es liegt aber auch daran, dass weibliche Journalistinnen weniger als "Kumpel" in der embedded Berichterstattung gesehen werden - Generäle, Heeres- oder Rebellenführer antworten ihnen "anders"- und es entsteht eine differenziertere Information.

Welche Ziele verfolgt der Journalistinnenbund?

Andrea Ernst: Im Zentrum des Interesses stehen gender- und medienpolitische Fragen, die Teilhabe an Entscheidungspositionen und Qualität im Journalismus.

Und wie versuchen Sie, die Ziele des Journalistinnenbundes zu erreichen?

Andrea Ernst: Mit einem dicken Angebot unterschiedlicher Möglichkeiten: Der Journalistinnenbund hat ein starkes Netz an Regionalgruppen, die eigene thematische Schwerpunkte setzen, es gibt Arbeitsgruppen - von Medienbeobachtung, Beteiligung an wissenschaftlichen Studien bis zur Weiterbildung, es gibt ein eigenes Mentoringprogramm und Großveranstaltungen, wie die Tagung am kommenden Wochenende - mit 200 Kolleginnen. Und es gibt Kooperationsprojekte, wie jetzt den Aufbau von Kontakten zu Journalistinnen im arabischen Raum. Wichtig, weil die Anerkennung der Arbeit eine entscheidende Rolle spielt: Die jährliche Auszeichnung einer Kollegin und ihres Lebenswerks mit der Hedwig-Dohm-Urkunde und seit zehn jahren - der JB-Nachwuchspreis.

Kürzlich hat sich der Verein "Pro Quote" gegründet. Dort sammeln sich hauptsächlich Frauen, die sich für Frauen in Führungspositionen bei Medien einsetzen. Ist das nicht auch eine Forderung vom Journalistinnenbund?

Andrea Ernst: Ja, wir freuen uns! Ein toller medialer Erfolg der Kolleginnen! Es kann gar nicht genug Initiativen und Impulse geben, die sich für Frauen in Entscheidungs- , Führungs- und Gestaltungspositionen einsetzen.

Und wie kommt es dann, dass sich dann doch ein neuer Verein gebildet hat? Kann es sein, dass der Journalistinnenbund nicht mehr alle Frauen in den Medien erreicht?

Andrea Ernst: "Pro Quote" hat eine Forderung und ein definiertes Ziel: 30 Prozent der Chefredakteurspositionen sollen in den kommenden fünf Jahren mit Frauen besetzt werden. Punkt. Hinter diesen, sehr konkreten Satz können sich viele Kolleginnen stellen. Er ist vor allem für Printmedien relevant, denn zum Beispiel im öffentlich-rechtlichen Bereich sehen die Zahlen ohnehin anders aus. Nach fünf Jahren will sich "Pro Quote" wieder auflösen. Der Journalistinnenbund sieht seine Aufgaben und Ziele langfristiger, internationaler, vielfältiger und weit über die reine Quotendebatte hinausgehend. So widersprechen sich die beiden Ansätze nicht, sondern sie ergänzen sich. Wechselseitige Kooperationen haben bereits begonnen - es gibt eine ganze Gruppe von Kolleginnen, die in beiden Verbänden Mitglied ist.

Sind Frauen im Journalismus eigentlich zu anderen Frauen solidarisch?

Andrea Ernst: Das entscheidet jede Frau selbst. Der Journalistinnenbund - als Verband - konzentriert sich auf die Schnittmenge von "Medien und Frauen" - also auf die Arbeitsbedingungen nach innen, als Journalistinnen, aber eben auch auf die Inhalte - worüber wird berichtet und wie wird berichtet?

Der Journalistinnenbund feiert an diesem Wochenende in München sein 25-jähriges Bestehen. Worauf freuen Sie sich im Programm besonders?

Andrea Ernst: Ich freue mich über die unglaublich positive Resonanz mit über 200 angemeldeten Kolleginnen, darunter viele jüngere, ich freue mich auf das außerordentlich vielfältige Programm, mit Top-Themen und Top-Namen. Und ich freue mich auf das gemeinsame  Feiern!

Mit Andrea Ernst, Vorsitzende des Journalistinnenbundes, sprach NEWSROOM-Chefredakteur Bülend Ürük.

"Macht. Weiter. Denken. - Frauen in Medien und Gesellschaft" - so lautet das Thema der Jahrestagung des Journalistinnenbundes, die an diesem Wochenende in München stattfindet. "Gibt es einen weiblichen Journalismus?" fragt die Keynote-Sprecherin Amelie Fried. Sie will die Antworten am Samstag geben.