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Christian Jakubetz über "schreckliche Zeiten - fast wie vor 100 Jahren"

Es sind dieses schon ziemlich fürchterliche Zeiten. Von Christian Jakubetz.

München - „Die Menschen leben, denken und arbeiten nun mit Expressgeschwindigkeit. Sie haben ihre Zeitung in aller Frühe am Frühstückstisch liegen, und wenn sie es zu eilig haben sollten, die neuen Nachrichten noch während des Frühstücks aufzuschnappen, können sie diese mit sich tragen, um sie während der Fahrt zu lesen, was ihnen keine Zeit mehr dafür lässt, mit dem Freund zu plaudern, der das Abteil mit ihnen teilt.”

Das schrieb William Smith Morley – und wer unter den geplagten Digitalskeptikern würde da nicht sofort seufzend unterschreiben wollen?

 

Christian Jakubetz ist Journalist, Dozent und Buchautor. Jakubetz ist Mit-Herausgeber von "Universalcode: Das Buch zum digitalen Journalismus". Dieser Beitrag ist zuerst auf seinem Blog erschienen. Foto: Heike Rost

 

Mr. Morley schrieb diesen Satz im Jahr 1886 und die Schuld an dieser aufkeimenden Ungemütlichkeit gab er damals unter anderem “dem Aufkommen der billigen Zeitungen”…

Was irgendwie tröstlich ist: Schon vor 120 Jahren befürchteten Menschen, das Aufkommen neuer und bis dahin auch in ihrer Geschwindigkeit unbekannten Medien zerstöre das bisherige Leben. Ich weiß nicht, ob die Menschen damals auch schon Sätze sagten wie “Früher war alles besser”, ausschließen sollte man es aber nicht. Das Spiel jedenfalls wiederholte sich über die Jahrzehnte: In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts warnten Filmemacher vor dem Aufkommen des Tonfilms, in den 70er Jahren war es en vogue, über die Gefahren des Fernsehens zu lamentieren – und an Neil Postmans “Wir amüsieren uns zu Tode” erinnern sich die Älteren unter uns sogar noch ganz gut.

Erfreulicherweise sind wir aber immer noch am Leben, trotz Tonfilms, Radio, Fernsehen und all dem anderen Teufelszeugs. Das Lamento ist dennoch immer das Gleiche: Dieses Netz, diese ganze Digitalisierung, das macht alles kaputt, was mit kultivierten Medien zu tun hat. Musik, Kino, Zeitungen, Fernsehen, einfach alles. (In solchen Momenten würde ich übrigens immer gerne antworten: Ja, und wir werden alle sterben – und das auch noch dumm). Wer sonst außer dem Internet könnte schuld daran sein? Und ist es dann nicht legitim, diesem Internet einfach mal den Kampf anzusagen und auf Konfrontationskurs zu gehen?

Dabei passiert – nüchtern betrachtet – nichts anderes als das, was immer passiert. Naja, ok – nicht immer, aber eben alle paar Jahrzehnte. Eine Technologie verändert die Gesellschaft, so ist es nun mal. Die Debatte ist also verkehrt, ob Menschen nun einfach keine Lust mehr haben, für Medien zu bezahlen oder ob sie Zeitungen auf einmal doof finden. Das Thema hingegen, um das sich alles dreht, ist die Entbündelung. Sie ist das eigentliche Phänomen der Digitalisierung und damit auch die Herausforderung.

Dabei reden wir primär gar nicht über Journalismus, Entbündelung betrifft alle, die irgendwas mit Medien anbieten. Musik wird weniger in Paketen konsumiert als früher, Bewegtbilder auch. Journalistische Inhalte sind als nächstes dran. Die Idee, Journalismus müsse immer in Paketen gereicht werden, in Einheiten, die einen Anfang und ein Ende haben – sie hatte bisher ihre Berechtigung und sie ist auch nicht tot. Sie wird nur in Zukunft eine von enorm vielen Möglichkeiten sein, Medien zu konsumieren. Es geht also für uns Journalisten nicht um die Frage “entweder – oder”. Sondern um ein “sowohl als auch”. Die Kunst wird es sein herauszufinden, welchen Kanal wie uns wie und wann zunutze machen können.

 

Mal wieder wahre Worte über den #Journalismus von @cjakubetz, der offenbar ein Schreib-Abo bei newsroom hat. http://t.co/9ZJ8X6xFAm

— Sonja Regina (@cleverQueen) 24. November 2014

Das geht über die bisherige Vorstellung des grossmedialen Publizieren weit hinaus. Weil es nicht mehr darum geht, für einen Inhalt auf Kanal A noch einen Zusatzinhalt für Kanal B zu finden. Sondern darum, Kanal A genauso mit eigenständigem Leben zu füllen wie Kanal B oder Kanal K oder Kanal Z. Was im Übrigen auch bedeutet, dass wir alle Kanäle gleich ernst nehmen sollten. Mal eben mit copy&paste die diversen Kanäle zuzuschütten, ist insofern keine wirklich probate Lösung.

Ist das schlimm? Amüsieren und hetzen wir uns gerade mal wieder zu Tode und verflachen dabei so sehr, dass man sich echte Sorgen machen muss? Keine Ahnung. Sicher ist nur: Irgendwann in den nächsten 15 oder 20 Jahren werden sich unsere Nachfolger-Generationen über unsere Sorgen von heute bestenfalls mit einem Lächeln unterhalten. Und sie werden sich fragen, wie wir das überhaupt ausgehalten haben, dieses Leben mit gerade mal ein paar Zeitungen, TV-Sendern, den Anfängen des Internets und diesen ganzen untauglichen Geräten wie Smartphones und Tablets.

Christian Jakubetz