Vermischtes
KNA – Alexander Riedel

Medienethiker kritisiert Umgang mit SZ-Vize Föderl-Schmid

Die Ereignisse rund um Alexandra Föderl-Schmid und ihre Redaktion, die „Süddeutsche Zeitung“, haben viele in der Branche berührt. Im Interview bewertet Medienethiker Alexander Filipovic die Berichterstattung, das Agieren der Kritiker und die Suche nach einem „Maulwurf“.

Wien/Berlin (KNA) Der Fall der Vize-Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid, hat viele Fragen aufgeworfen. Es geht um eine angemessene Berichterstattung, Kampagnenvorwürfe und das Verhalten der SZ-Chefredaktion in Bezug auf durchgestochene interne Informationen. Der Medien- und Sozialethiker Alexander Filipovic von der Universität Wien ordnet die Vorgänge im Interview des KNA-Mediendienstes ein.

 

Die gute Nachricht am vergangenen Freitag war, dass Alexandra Föderl-Schmid lebt. Viele Medien hatten am Tag zuvor darüber berichtet, dass sie vermisst werde und die Polizei einen Suizid befürchte. Das ist ja wegen des Nachahmungseffekts ein sehr heikles Thema. War die Berichterstattung angemessen?
Alexander Filipovic: Es ist absolut richtig, dass die Berichterstattung über Suizide und Suizidversuche extrem zurückhaltend ist. Man sieht natürlich manchmal, dass Medien quasi nach einem Grund suchen, um doch berichten zu können. Im Großen und Ganzen haben die großen Medien und auch die Nachrichtenagenturen diesen Fall aber relativ klein gehalten. Bis die „Süddeutsche“ dann irgendwann geschrieben hat, ihre Vize-Chefredakteurin sei lebend gefunden worden. Jetzt müssen alle mit der Berichterstattung, die es gab, weiterleben, nicht nur Alexandra Föderl-Schmid, sondern auch die, die von einem mutmaßlichen Suizidversuch geschrieben haben. Auch deswegen ist gerade in solchen Situationen äußerste Vorsicht geboten.

 

Was sagt der Fall, in dem es ja um angebliche Plagiate geht, über den Umgang mit Fehlern aus, über die Fehlerkultur in der Öffentlichkeit?
Das ist ein großes Problem, aber die Situation ist ambivalent. Wenn es in der Öffentlichkeit um Politik, Kritik und Journalismus geht, wird sehr präzise und mit harten Bandagen gekämpft. Da kommt es – wie in der Wissenschaft – darauf an, dass man korrekt arbeitet. Und dass man Dinge, die man von anderen erwartet, auch selbst leistet. Wenn wir von der „Süddeutschen“ annehmen, dass wir ihrer kritischen politischen Berichterstattung mit Grund vertrauen, und es kommen Zweifel an der Verlässlichkeit auf, dann ist es auch Aufgabe von Medienkritik, da genau hinzuschauen.

 

Aber was ist mit der persönlichen Ebene, mit dem Anstand?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir eine mitmenschliche Fehlerkultur von öffentlicher Kommunikation überhaupt erwarten können. Natürlich bräuchten wir da mehr Anstand, aber der ganze öffentliche Bereich ist so polarisiert und wird so sehr zur persönlichen Profilschärfung genutzt, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie wir mehr Anstand hervorrufen können. Natürlich kann ich das jetzt fordern, aber schauen Sie sich an, was auf Social Media abgeht. Das ist eine Riesenkatastrophe.

 

Von solchen Appellen könnten sich am Ende nur die angesprochen fühlen, die sich sowieso meist anständig verhalten ...
Es ist natürlich trotzdem nicht falsch, sie zu äußern. Wir alle sollten in unserem privaten und in unserem professionellen Umfeld dafür kämpfen. Ich sehe nur nicht, wo man da in größerem Maßstab ansetzen könnte. Vielleicht wäre es angesichts dieser ganzen Katastrophe angezeigt, dass wir uns alle ermahnen und daran erinnern, dass zu schweigen oder weniger schnell zu urteilen ein erster Weg wäre.

 

In Sozialen Netzwerken ist ja das Gegenteil der Fall. Da wurden die Vorwürfe gegen Alexandra Föderl-Schmid schnell mit der Berichterstattung der „SZ“ über Plagiatsvorwürfe gegen AfD-Chefin Alice Weidel aufgerechnet. Nach einem großen Aufschlag zu den Vorwürfen wurde über das für Weidel positive Ergebnis einer Prüfung ihrer Doktorarbeit am Ende nur relativ klein berichtet.
Daran sieht man, dass der Grat zwischen einer Blattlinie und einer Kampagne relativ schmal ist. Ich finde es gut und richtig, wenn sich eine Zeitung den Grundwerten einer liberalen Demokratie verpflichtet fühlt und deswegen all jene besonders kritisch beobachtet, die gegen diese Grundordnung argumentieren oder agitieren. Dabei muss aber so etwas wie Objektivität oder Gleichbehandlung stattfinden.

 

Wie bewerten Sie denn umgekehrt die Berichte zu den Vorwürfen gegen Alexandra Föderl-Schmid? Waren die medienethisch angemessen?
Nach allem, was wir wissen, hat sie an der einen oder anderen Stelle handwerkliche Fehler gemacht. Gleichzeitig weiß jeder, dass sie eine hervorragende Journalistin ist. Das Buch, das man über ihre Leistungen schreiben könnte, wäre ungleich größer und dicker als das, was man über ihre Fehler schreiben könnte. Ihre Dissertation muss nun die Universität Salzburg untersuchen. Aber klar ist doch: Die Fehler rechtfertigen in keiner Weise, dass da ein Mensch unmöglich gemacht wird.

 

Aber wie könnte man das verhindern?
Eigentlich müssten wir uns alle schämen und die Klappe halten, weil wir natürlich Teil dieser fatalen Kommunikationsdynamik sind, die entsteht und die einen Menschen in die Verzweiflung drängen kann. Man muss sich klarmachen, dass die öffentliche Sphäre massive Auswirkungen auf das individuelle Seelenheil hat. Wir sind nicht so geübt darin, das zu trennen. Das hängt alles viel stärker zusammen, als uns bewusst ist.

 

Der selbst ernannte „Plagiatsjäger“ Stefan Weber hat ja offengelegt, dass er während seiner Zeit an der gleichen Universität einen Konflikt mit dem Gutachter der Dissertation gehabt hat. Reicht Transparenz da noch aus oder ist das nicht ein Ausschlussgrund für seine jetzige Rolle?
Zu denken, man macht die eigene Verstrickung maximal transparent und ist damit aus dem Schneider, erscheint mir seltsam. Dass das Gutachten dann auch noch von dem Portal „Nius“ finanziert wurde, dem es wohl nicht um wissenschaftliche Qualität gehen dürfte, das ist alles furchtbar unwürdig. Das Verlangen nach einem Plagiatsgutachten zu der Dissertation, nachdem die an manchen Stellen unsaubere journalistische Arbeit bekanntgeworden war, finde ich moralisch fragwürdig.

 

Sie sind selbst Wissenschaftler. Was halten Sie im Allgemeinen von diesem Ansatz der Plagiatsjäger? Deren Arbeit richtet sich ja immer gegen Einzelpersonen, dennoch ist ein Plagiat ein schwerwiegender wissenschaftlicher Verstoß ...
Wenn es Qualitätsprobleme in einem Bereich der Wissenschaft gibt, dann gehört das aufgeklärt – egal, ob es Prominente betrifft oder nicht. Universitäten haben die Aufgabe, die Qualität zu sichern, auch wenn eine Dissertation geschrieben wird, um die eigene Karriere in der Politik oder im Journalismus zu befördern. Sollten die Universitäten dieser Aufgabe nicht nachkommen, können Hinweise von außen sinnvoll sein. Damit geht der Ball aber zurück an die Wissenschaft, die nach ihren Regeln prüfen muss. Es ist nicht Aufgabe der Öffentlichkeit, dieses Urteil zu fällen. Sollte die Wissenschaft den Vorwürfen aber nicht richtig nachgehen, muss man natürlich erneut von außen stören.

 

Die österreichische Journalistin und Historikerin Barbara Toth hat sich die in Rede stehende Dissertation genauer angeschaut und die Plagiatsvorwürfe für wenig stichhaltig befunden. Erscheint Ihnen das plausibel – nach dem, was Sie bislang wissen?
Der Vorwurf, es handele sich um ein Plagiat, das heißt, die Autorin hätte wissenschaftlich betrogen, scheint mir mit dem, was Barbara Toth vorgelegt hat, nicht plausibel.

 

Der Umgang der „Süddeutschen“ mit dem Fall hat ebenfalls für viel Diskussionen in der Branche gesorgt, insbesondere die Suche nach dem „Maulwurf“. Hier steht ja der Schutz des Redaktionsgeheimnisses gegen den Schutz der Quelle bei „Medieninsider“. Kann man dieses Konkurrenzverhältnis aus medienethischer Sicht auflösen?
Ich glaube nicht, finde die Dynamik, die dabei entsteht, aber auch recht produktiv. Die „Süddeutsche“ hat das Recht, ihre Redaktionsinterna zu schützen, weil man nur so gut arbeiten kann. Ob sich die Chefredaktion in diesem Fall geschickt verhalten hat, sei dahingestellt. Für mich ist es jedenfalls kein grober Verstoß gegen medienethische Prinzipien. Es zählt aber auch, dass, wenn ich als Redaktion selbst Informationen von Insidern oder Whistleblowern bekomme, ich auch bereit sein muss, dieses Vorgehen bei anderen Medien – wie hier „Medieninsider“ – zu schätzen.

 

Organisationen wie Reporter ohne Grenzen oder der Deutsche Journalisten-Verband haben in dem Zusammenhang auch auf die Rolle des Quellenschutzes hingewiesen.
Das finde ich gut. Der Quellenschutz gilt ja auch für Leaks aus Redaktionskonferenzen. Der Fall ist ein gutes Lehrstück über die Funktion von Medienkritik. Das Redaktionsgeheimnis und das Recht einer publizistischen Einheit, Interna zu bewahren, steht dem Interesse der Medienöffentlichkeit entgegen, da auch kritisch draufzuschauen. In diesem Fall wurden dabei – soweit ich weiß – keine Grenzen überschritten. Das Ziel muss letztlich immer sein, eine qualitätsvolle Medienlandschaft zu haben.

 

Manche Beobachter warnen davor, dass ein Vorgehen wie das der „Süddeutschen“ gegen eine interne Quelle das Ende von investigativem Medienjournalismus bedeuten würde, würden alle so handeln. Das wäre dann aber nicht der Weg zu einer qualitätsvollen Medienlandschaft, oder?

Deswegen muss man sich die Mittel, die eine Redaktion wählt, um Interna zu schützen, genau anschauen. Vielleicht ist in diesem Fall übertrieben worden, aber bei der „Süddeutschen“ und auch in anderen Redaktionen sitzen ja intelligente Menschen. Und wenn die jetzt feststellen, dass da Fehler gemacht wurden, werden sie hoffentlich ihre Schlüsse für die Zukunft daraus ziehen. Insofern kann der Fall für genau diese Fragen ein Lehrstück sein.