Vermischtes
dpa

„Verräter“ − Can Dündar schreibt über sein Exil in Berlin

Für den türkischen Präsidenten ist Can Dündar ein Verbrecher. Der Journalist hat sich aus Angst vor Verfolgung entschieden, in Berlin im Exil zu leben. Eine Rückkehr in seine Heimat ist zurzeit kaum realistisch.

Hamburg (dpa) − Can Dündar hat schwierige Monate hinter sich. Der türkische Journalist und Ex-Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ lebt seit Sommer 2016 in Berlin im Exil. Die Chancen, bald zurück in die Türkei zu dürfen, stehen schlecht. Dort ist er wegen Geheimnisverrats im Mai vergangenen Jahres zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. 

 

Dündar legte Revision ein. Von einer Europareise kehrte er nicht in die Türkei zurück − und wäre dort inzwischen vermutlich längst im Gefängnis. Von all dem erzählt sein neues lesenswertes Buch „Verräter. Von Istanbul nach Berlin“.

Der Band ist gerade bei Hoffmann und Campe erschienen. Der Hamburger Verlag hat gut ein Jahr zuvor schon „Lebenslang für die Wahrheit“ veröffentlicht, Dündars Buch, das er weitgehend in den drei Monaten geschrieben hat, die er bereits in der Türkei im Gefängnis sitzen musste − noch vor dem Putschversuch im Juli 2016 und der Verhängung des Ausnahmezustands.

Sein neues Buch beginnt der promovierte Politikwissenschaftler mit der Schilderung seiner ersten Flugreise nach der Entlassung − in der Maschine über Istanbul erinnert er sich daran, wie er im Gefängnishof in den Himmel guckte und Flugzeuge in die Ferne starten sah. Und fragt sich, ob die Häftlinge dort nun ebenfalls zum Himmel hinauf schauen, während er das Land verlässt.

Für Can Dündar war es ein Abflug ohne Rückkehr. In der Nacht zum 15. Juli 2016 gab es einen erfolglosen Putschversuch in der Türkei. „Am nächsten Tag setzte unverzüglich eine große Hexenjagd ein“, schreibt Dündar. „Es war ein Wendepunkt, nicht nur für die Türkei, sondern auch für meine Familie.»

Der Journalist ist hin- und hergerissen, beschließt dann aber, nicht nach Istanbul zurückzukehren und storniert den Rückflug, den er schon gebucht hatte. Die Frage ist, wohin: Stockholm oder London? Dündar entscheidet sich für Berlin − und dafür, die Chefredaktion bei „Cumhuriyet“ aufzugeben.

Einfach ist das nicht: „Man muss damit rechnen, dass das Telefon einen ganzen Tag lang gar nicht klingelt“, erzählt Dündar von der Einsamkeit im Exil. „Muss darauf vorbereitet sein, verraten, verlassen und alleingelassen zu werden.“ Der Alltag hält ständig neue Probleme bereit. Dündar fängt bei null an, er braucht eine Anmeldebescheinigung, einen Mietvertrag, eine Krankenversicherung, eine Steuernummer, einen Presseausweis.

Und schon die bürokratischen Hürden für den Führerschein sind hoch, für jemanden, der kein Deutsch spricht und erst lernen muss, dass man nicht nur eine Fahrprüfung bestehen muss, sondern eine Bescheinigung für eine Augenuntersuchung genauso braucht wie den Nachweis von Erste-Hilfe-Kenntnissen.

Aber schlimmer noch: Sicher fühlen kann sich Dündar auch in Berlin nicht wirklich: Als er dort im Park sitzt, brüllt ihn jemand auf Türkisch an: „Landesverräter!“ Und schon bald war auch in türkischen, regierungsnahen Zeitungen zu lesen, Dündar betätige sich in Berlin als Verräter − solche Vorwürfe haben den Titel für sein Buch geliefert.

Dündar arbeitet auch in Berlin weiter als Journalist, schreibt Kolumnen für die „Zeit“, hebt das Portal „Özgürüz“ mit aus der Taufe und hält mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Der Bundesregierung wirft er vor, für das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei eigene Werte zu verraten und sich auf die falsche Seite zu stellen.

Das Schlusskapitel widmet sich dem Theater: Die Royal Shakespeare Company bringt sein voriges Buch „Lebenslang für die Wahrheit“ in Stratford-upon-Avon auf die Bühne. Dündar sitzt bei der Premiere im Publikum. Als das Stück endet, gehen die schwierigen zurückliegenden Monate durch den Kopf. „War es das wert?“, fragt er sich. „Ja, es hat sich gelohnt.“ Und: „DAS IST NOCH NICHT DAS ENDE.»