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„Welt“-Chefredakteur Poschardt: Sind in vielen Debatten die Outlaws

Der Medienkonzern Axel Springer hat neue Redaktionsflächen für seine „Welt“-Gruppe geschaffen. Wie er die Marke nun weiterentwickeln will, dazu hat Chefredakteur Ulf Poschardt ganz konkrete Ideen.

Berlin (dpa) − Der Medienkonzern Axel Springer will in den nächsten Jahren weiter in seine Marke „Welt“ investieren. Im kürzlich eröffneten Neubau rücken die Bereiche von Zeitung bis TV stärker zusammen. Der Chefredakteur der Gruppe, Ulf Poschardt, sagte im Interview der Deutschen Presse-Agentur, welche Vorteile sich durch den Umzug ergeben, welche Produkte kommen werden und dass er findet, dass „Welt“ oft der „Outlaw“ sei.

 

Wir befinden uns in Berlin im Springer-Neubau von Stararchitekt Rem Koolhaas, bei dem der Einzug der „Welt“-Gruppe mit der „Welt“, „Welt am Sonntag“ und dem TV-Sender WELT derzeit abgeschlossen wird. TV war früher von den anderen Teilen örtlich getrennt am Potsdamer Platz untergebracht. Was sind die Vorteile in der Zusammenarbeit?

Ulf Poschardt: Bislang war es so: Sie mussten ein Taxi oder ein Fahrrad nehmen, um zum TV-Studio zu kommen. Jetzt gehen Sie eine Treppe nach oben und sind bei den TV-Kollegen. Das wird die Frequenz der Anwesenheit unserer klugen Köpfe im TV erhöhen. Gleichzeitig können wir viel unkomplizierter gemeinsam Konferenzen machen. Und eine gemeinsame Location verbindet die Leute einfach.

 

Neben Ihrem Posten als Chefredakteur der „Welt“-Gruppe sind Sie vor einigen Monaten zusätzlich auch Teil der Geschäftsführung geworden. Schlafen Sie jetzt nicht nur den unruhigen Schlaf des Chefredakteurs, sondern parallel auch noch den des Geschäftsführers?

Ich kann beide Jobs nur machen, weil ich sehr gut schlafe.

 

Wie kam es zu dem Schritt?

Es war ein Ergebnis aus einer intensiven Diskussion. Wir hatten uns − schon bevor KKR bei Springer Investor wurde − zusammengesetzt, um zu überlegen: „Wie wollen wir uns weiterentwickeln? Wir gucken uns alle Zahlen ehrlich an.“ „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt und ich haben dabei gemerkt, dass die publizistische Weiterentwicklung der Marken nur dann gelingt, wenn man sich darüber Gedanken macht, wie Journalismus, der unersetzbar ist, auch langfristig finanziert werden kann.

 

In der Vergangenheit wurde der „Welt“-Gruppe immer wieder nachgesagt, sie sei defizitär. Schreibt die Gruppe schwarze Zahlen?

Wir haben eine mehr als gute Entwicklung bei den Ergebnissen. Das gilt für Digital, aber auch für die gedruckte Zeitung, insbesondere für „Welt am Sonntag“.

 

Eine sehr gute Entwicklung im schwarzen oder im roten Bereich?

Wenn man sich die Geschichte der „Welt“-Gruppe anguckt: Dann ist diese Frage etwas, was die Zeitung praktisch von Anfang an begleitet hat. Und die Devise des Hauses war und ist, wir wollen diese entscheidende Stimme für unser publizistisches Selbstverständnis weiterentwickeln und profitabler machen − das stand praktisch über alle Diskussionen. Und wenn Sie meine Texte lesen, wissen Sie: Als Liberaler finde ich nichts unattraktiver als einen Subventionsbetrieb.

 

Was sind die nächsten Projekte bei der „Welt“-Gruppe?

Wenn es etwas gibt, wo wir noch Luft haben: die Kommunikation unserer Marke und die Markenführung. Wir wollen die Marke stringenter machen. Hier ist ein großes Potenzial, schließlich ist „Welt“ eine starke Marke, gerade bei wirtschaftlichen Entscheidern und Freiberuflern. Zudem haben wir von den alten Medienmarken das jüngste Publikum.

 

Wo setzen Sie noch an?

Wir sehen, dass Bewegtbild immer wichtiger wird. Dafür ist der gemeinsame Standort ein wichtiger Schritt, mit Frank Hoffmann haben wir den innovativsten deutschen TV-Manager in unserer Geschäftsführung. Mich interessiert aber auch: Wo sind junge neue Stimmen als Autoren und Reporter? Wir haben im Social-Media-Bereich eine Generation von jungen Kolleginnen und Kollegen, die begeistert zur „Welt“ kommen, weil wir in vielen Debatten die Outlaws sind, die sich nicht vom Zeitgeist oder peinlichen Twitter-Shitstorms verbiegen lassen.

 

Wird es bald neue Produkte geben?

„Welt“-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld wird sich um die Podcasts kümmern. Da wollen wir noch mehr. Da sehen wir uns eher am Anfang als dort, wo „Welt“ vom Selbstverständnis her sein muss.

 

In Deutschland gehen die Auflagen von gedruckten Zeitungen zurück, auch die der „Welt“. Medienhäuser investieren ins Digitale. Sehen Sie für die „Welt“-Gruppe am Horizont, dass das, was an Print-Erlösen wegbricht, von Digital-Erlösen einmal aufgefangen werden kann?

Wir freuen uns schon jetzt über mehr als 130 000 Abonnenten von WELTplus. Da legen wir jeden Tag kräftig zu, sogar deutlich über unseren ambitionierten Zielen. Allein gestern haben wir 323 neue Digital-Abo-Kunden gewonnen. Wir sind in einer Zeit, in der anspruchsvoller, guter Journalismus tatsächlich auch bezahlt wird, weil die Leute wissen, dass sie bei uns etwas bekommen, was so bei anderen Medien schlichtweg nicht geliefert wird. Zahlen haben als Zahlen keinen Selbstzweck. Aber sie sind Qualitätssiegel für unser strategisches Ziel, am Ende mit 200 000 digitalen Abonnenten − und gerne mehr − Journalismus auf einem hohen Niveau finanzieren zu können.

 

Sie kritisieren in Ihrem Sachbuch „Mündig“, in dem Sie für Mündigkeit als Lebenshaltung werben, ein „Comeback der Moral“ in den Medien. Sie schreiben: „Wer Prediger werden will, sollte in die Kirchen wechseln, von der Kanzel herab zu dozieren, ist keine Perspektive für aufgeklärten Journalismus.“

Die verbürgerlichte Linke hat sich mit ihren Moralvorstellungen, was Umweltschutz, Migrationspolitik und so weiter betrifft, weitestgehend durchgesetzt. Dass die AfD − Gott sei Dank ist sie in ihrem Siegeszug gebremst − zur Arbeiterpartei Nummer eins wurde, hat damit zu tun, dass diese selbstgerechte Linke, häufig materiell bestens abgesichert, viel zu viele Medienplattformen gefunden hat, in denen sie vom hohen Ross herab den Leuten erklärt, wie sie zu leben haben. Wie sie Sprache zu verwenden haben, was sie gut finden müssen. Aufklärerischer mündiger Diskurs heißt: Liefert Argumente, liefert Zahlen, liefert Fakten. Macht die Autoren so sensibel darauf, dass unsere Leser mündige, kluge Menschen sind, die man nicht moralisch erpressen, sondern denen man gute Argumente zur Meinungsbildung liefern muss.

 

Sie sagen selbst von sich, liberal zu sein. Was ist das für Sie?

Liberal heißt, dass man den Menschen in seiner unverwechselbaren Individualität ernst nimmt und ihm in einem klar gezogenen Rahmen, der so groß sein muss wie irgendwie möglich, maximale Freiheiten einräumt. Und diese großartige Idee der Freiheit ist das, was das journalistische Verständnis von „Welt“ und des Hauses Axel Springer prägt.

 

ZUR PERSON: Ulf Poschardt ist Chefredakteur der „Welt“-Gruppe und seit dem Sommer darüber hinaus Sprecher der Geschäftsführung. Der 53-Jährige ist schon seit vielen Jahren für die Marke tätig. Er bringt zudem journalistische Erfahrung aus anderen Häusern mit: Zwischen 2005 und 2008 war er Chefredakteur der deutschen Ausgabe der Zeitschrift „Vanity Fair“ und von 1996 bis 2000 war er Chefredakteur des Magazins der „Süddeutschen Zeitung“. Poschardt studierte unter anderem Philosophie. Seine Doktorarbeit drehte sich um die Musikszene. Geboren wurde er in Nürnberg.