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Reise und Tourismus

Studierende untersuchen den Gebrauch von deutschem Dialekt in Südbrasilien

Bayreuth (pressrelations) -

Wer in Brasilien unterwegs ist, kann dort in bestimmten Gegenden auf Menschen treffen, die einen deutschen Dialekt sprechen: Die Nachfahren von Auswanderern verwenden bis heute das sogenannte Hunsrückisch - eine Mundart, die auf die Dialekte in Rheinland-Pfalz zurückgeht, jedoch in dieser Form nur in Brasilien vorkommt. Wie sich der aus Deutschland stammende Dialekt im brasilianischen Alltag entwickelt hat und welche Rolle er dort noch spielt, untersuchten nun Studierende der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) gemeinsam mit Prof. Dr. Sebastian Kürschner (Lehrstuhl für Deutsche Sprachwissenschaft) und weiteren Dozierenden.


Dazu unternahmen sie eine knapp zweiwöchige Studienreise in den Bundesstaat Rio Grande so Sul. Zuvor beschäftigten sie sich in einem Seminar mit theoretischen und methodischen Zugängen zur Sprachkontakt- und Migrationsforschung.


Eine Hochphase der Einwanderung aus Deutschland, in der viele Menschen keine Perspektiven mehr für sich sahen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, gab es Mitte des 19. Jahrhunderts. Brasilien schickte damals Werber übers Land, die potentiellen Einwanderern ein besseres Leben jenseits des Atlantiks versprachen. "Interessant ist, dass die Familien der von uns befragten Personen damals nicht aus dem heutigen Rheinland-Pfalz nach Brasilien aufbrachen, sondern vor allem aus böhmischen Gebieten. Doch auch in diesen Kreisen etablierte sich das Hunsrückisch als Ausgleichsdialekt, mit dem sich deutsche Einwanderer unabhängig von ihrer regionalen Herkunft untereinander austauschten - auch als Ausdruck eines Zusammenhaltes", erklärt Professor Kürschner. So seien Deutsche nach ihrer Ankunft in Brasilien nicht nur erstmals mit Portugiesisch in Kontakt gekommen, sondern auch mit Hunsrückisch. Der nordböhmische Dialekt hingegen sei heute kaum noch vor Ort präsent.


Bei der Suche nach geeigneten Gesprächspartnern behilflich war die brasilianische Doktorandin Angélica Prediger, die selbst deutsche Vorfahren hat und sich in ihrer Heimat an der Bundesuniversität von Rio Grande do Sul (UFRGS) bereits wissenschaftlich mit der Präsenz von deutschem Dialekt beschäftigt. Dort entsteht eine Sprachatlas der deutschen Sprachminderheit in Südbrasilien. Zudem steht Kürschner bereits seit geraumer Zeit im wissenschaftlichen Austausch mit brasilianischen Forscherkollegen.


Die insgesamt elf Studierenden aus den Fachbereichen Germanistik, Lateinamerikastudien, Psychologie und dem vom Zentralinstitut für Lateinamerikastudien angebotenen Masterstudiengang "Conflict, Memory and Peace" führten - gemeinsam mit brasilianischen Kommilitonen - im Verlauf der Studienreise Gespräche mit rund hundert Personen. Dazu trafen sie sich gezielt in kleinen Gruppen mit den Nachfahren von Auswanderern und deren Familien, um sie anhand eines einheitlichen Leitfadens zur Familiengeschichte und zum Sprachgebrauch zu befragen: Wie bezeichnet man auf Hunsrückisch die Kartoffeln ("Areppel") oder wie klingt die Zahl 15 im Dialekt ("fimzehn")? Zudem sprachen sie spontan Menschen auf der Straße an und zeichneten die Interviews auf, um auch den Klang der Sprache zu dokumentieren.


Beim Gang durch die Ortschaften stießen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Studienreise zwar immer wieder auf Firmenschilder mit deutschen Namen sowie Grabsteine mit Inschriften in deutscher Sprache; eine generelle zweisprachige Beschilderung findet sich jedoch nicht. "Die Mündlichkeitskultur des Deutschen überwiegt eindeutig", so Kürschner. Das spiegelt sich auch in der Art der Überlieferung wider: "Die meisten der von uns Befragten hatten keinen förmlichen Deutschunterricht, zumal dieser im Zuge des Zweiten Weltkriegs für einige Zeit in Brasilien verboten wurde", ergänzt Julian Hanowski, der an der KU Lateinamerikastudien studiert und zur Exkursionsgruppe gehörte. Der Dialekt wurde also privat an die folgende Generation weitervermittelt. Welche Rolle dieser für die eigene Identität spielt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen gilt Portugiesisch als Sprache des sozialen Aufstiegs, sodass Hunsrückisch im Arbeitsleben kaum präsent ist. "Auch das unmittelbare Lebensumfeld hat Einfluss auf den Gebrauch von Dialekt: In eher abgelegenen Orten wird er im Alltag häufiger genutzt, in größeren Städten eher beschränkt auf die Familie. Die Wertschätzung der Sprache der Vorfahren nimmt jedoch wieder zu", sagt die Studentin Franziska Prinz. Für sie war es - wie auch für die anderen Kommilitonen - spannend, so unmittelbar in eine Forschungsreise eingebunden zu sein. Zudem lernten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer während ihres Aufenthaltes neben der UFRGS auch das Zentrum für Deutschland- und Europastudien in Porto Alegre kennen.


Nun haben die Studierenden und ihre Betreuerinnen und Betreuer noch viel Transkriptionsarbeit vor sich: Es gilt in der kommenden Zeit, 200 Gigabyte an Mitschnitten zu verschriftlichen und im Detail auszuwerten. In einem weiteren Schritt will Professor Kürschner die gewonnenen Erkenntnisse nutzen, um in einem Folgeprojekt sprachwissenschaftliche Aspekte speziell bayerischer und böhmischerEinwanderer in Brasilien weiter zu untersuchen.

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