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10 Praxistipps: So befreien sich Journalistinnen und Journalisten vom Perfektionismus

10 Praxistipps: So befreien sich Journalistinnen und Journalisten vom Perfektionismus Mediencoach Attila Albert

Es gibt Redaktionen, in denen werden Texte so oft umgeschrieben, dass die fünfte Variante am Ende fast wieder wie die erste ist – nur mit mehr Fehlern drin. Manches Layout wird so lange perfektioniert, bis der Andruck garantiert verpasst ist. Wer sich vom Perfektionismus befreien will, muss umdenken und auch praktisch vieles anders machen. Mediencoach Attila Albert gibt 10 Tipps für ein effizienteres, entspannteres Arbeiten und Leben trotz Coronakrise.

Berlin – Ich habe, noch als Journalist, einmal 25 Minuten mit einem stellvertretenden Chefredakteur zu einer vierzeiligen Bildunterschrift telefoniert. Viele Konferenzen wäre nur halb so lang, wenn nicht jeder noch etwas ansprechen müsste, das am Ende keine Rolle spielt.

 

Perfektionismus ist den wenigstens Medienprofis fremd, wobei sich tagesaktuelle Medien naturgemäß weniger lang damit aufhalten können. Doch Reporter wissen, dass selbst da alle fünf Minuten ein Anruf von der Redaktion kommen kann, weil immer noch jemand eine neue Frage oder Idee hat – und damit wieder die Recherche aufhält. Perfektionismus macht langsamer und umständlicher, überlastet und frustriert. Dabei ist es in der Coronakrise noch drängender geworden, die eigenen begrenzten Ressourcen sinnvoll zu nutzen. Gleichzeitig gilt es, gewisse Mindeststandards und -ziele auch weiterhin zu erreichen.

 

In meinem neuen Buch „Perfektionismus ist ein Arschloch“, das jetzt erschienen ist, geht es darum, sich von überzogenen Ansprüchen an sich selbst und andere zu lösen. Praktische Veränderungen sind dabei ebenso notwendig wie ein generelles Umdenken. Diese zehn Schritte verhelfen bereits zu mehr Pragmatismus.

 

1. Aufgaben nach Wichtigkeit ordnen

Es ist unmöglich, jede Aufgabe perfekt zu erledigen. Entscheiden Sie deshalb immer, wo das überhaupt notwendig ist. Für kurzlebige Standardaufgaben im Berufs- und Privatleben genügt fast immer ein solides, durchschnittlich gutes Ergebnis, auch wenn Sie es theoretisch immer noch verbessern könnten. Durch den Verzicht darauf verschaffen Sie sich Zeit und Energie, um langfristig bedeutsame Aufgaben tatsächlich möglichst perfekt zu erledigen.

 

2. Minimal-Kriterien festlegen

Legen Sie für jede Aufgabe konkrete Kriterien fest, ab wann das Ergebnis gut genug wäre, wenn auch nicht perfekt. Meist bedeutet das: Sie haben etwas in der Hand, mit dem man im Normalfall ordentlich arbeiten kann (z. B. eine vollständige und korrekte Präsentation, auch wenn es bessere Bilder gäbe und Sie nur zweimal gegengelesen haben). Haben Sie später unerwartet Zeit, können Sie immer noch eine aktualisierte, verbesserte Version anbieten.

 

3. Regelmäßig Projekte streichen

Bei den meisten Arbeitgebern hat es sich eingeschlichen, an die Mitarbeiter immer neue Aufgaben zu verteilen, die „nebenbei“ erledigt werden sollen. Kurzzeitig geht das. Auf Dauer summieren sich die Projekte und Aufgaben, die Sie überlasten. Auch privat nehmen Sie sich vielleicht ständig nur mehr vor. Überlegen Sie deshalb auch regelmäßig, welche Projekte Sie ersatzlos streichen können – im Job eventuell im Rahmen eines Team-Workshops.

 

4. Prioritäten statt To-do-Listen

Klassische Aufgabenlisten (To-do-Listen) stressen schnell zusätzlich, weil Sie niemals alles davon erledigen können. Besser ist es, sie als Prioritätenlisten anzulegen: Was oben steht, ist wichtig. Diese Aufgaben sind entscheidend, auf diese konzentrieren Sie sich. Je weiter unten, desto unwichtiger. Was dort steht, können Sie gelassen angehen. Das meiste davon wird nie erledigt werden, verliert von selbst seine Bedeutung oder bleibt nur eine Idee.

 

5. Ein Drittel des Kalenders frei lassen

Wer seine Zeit effektiv nutzen will, plant oft die ganze Woche durch. Besser aber ist es, im Kalender tagsüber immer mindestens ein Drittel frei zu lassen. Das verschafft Ihnen Puffer für unvorhersehbare Ereignisse (z. B. kurzfristiger Termin beim Chef, Kind muss zum Arzt, Stau). Wichtig sind vor allem mindestens 30 freie Minuten zwischen Terminen. So sorgt eine Verspätung nicht sofort für die nächste, und Sie können auch mal etwas spontan erledigen.

 

6. Unerwünschte Termine absagen

In einigen Unternehmen ist es üblich, dass andere Ihnen ungefragt Termine in den Kalender stellen, wenn sie etwas besprechen wollen. Im Privatbereich sind es oft Verwandte oder Freunde, die sich ständig selbst einladen. Versuchen Sie nicht, alle glücklich zu machen und keinem zu widersprechen. Behalten Sie sich vor, unerwünschte Termine zu verschieben oder ganz abzusagen. Vieles erledigt auch bereits ein kurzer spontaner Telefonanruf.

 

7. Wichtigste Kontakte auswählen

Wenn Sie sich von zu vielen privaten Verpflichtungen erdrückt fühlen, gehen Sie gedanklich Ihre Verwandten und Freunde durch, eventuell auch mithilfe Ihres Telefonverzeichnisses. Wählen Sie aus, welchen drei bis fünf Personen Sie die meiste Zeit und Aufmerksamkeit widmen wollen, welche drei bis fünf Personen regelmäßig sehen und welche nur gelegentlich oder gar nicht mehr. Planen Sie Verabredungen oder Freizeitaktivitäten zukünftig in dieser Rangfolge.

 

8. Motivierende Ich-Botschaft

Lässt der Perfektionismus Sie oft an sich zweifeln, schreiben Sie sich eine ermutigende, aufbauende Ich-Botschaft auf einen Zettel. Zum Beispiel: „Ich bin viel stärker, als ich oft selbst glaube“ oder „Ich muss keine Angst haben, ich kann alles schaffen“. Lesen Sie sie mehrmals täglich durch, vor allem vor stressigen Situationen (z. B. schwieriges Meeting). Das stärkt auf Dauer Ihr positives Selbstbild, wirkt beruhigend und senkt Ihren Stress.

 

9. Mehr Spontaneität üben

Üben Sie im Alltag, die Dinge ein wenig lockerer und spontaner anzugehen. Ihre Freizeit ist bisher perfekt durchgeplant? Halten Sie sich ab sofort einen Abend frei, an dem Sie einfach mal schauen, worauf Sie Lust hast und wie es sich entwickelt. Organisieren Sie bisher jeden Urlaub vor? Buchen Sie, wenn es wieder geht, einmal nur Anfang und Ende der Reise und fahren dazwischen ein paar Tage spontan herum. Das trainiert Ihr Selbstvertrauen.


10. Verantwortung teilen

Gewöhnen Sie sich an, anstehende Aufgaben gemeinsam mit denen zu erledigen, die auch davon profitieren. Wenn Sie zu Hause z. B. bisher immer die Wäsche erledigen, weil sich Ihr Partner „damit nicht so auskennt“ – lassen Sie es ihn trotzdem mal machen. Bei Urlauben können auch Kinder etwas beisteuern, etwa beim Kochen oder Aufräumen helfen. Das stärkt Ihren Zusammenhalt und befreit Sie davon, immer allein für alles verantwortlich zu sein.

 

All das ist kein Plädoyer für Mittelmäßigkeit und Fatalismus. Das Ziel ist entspannter Pragmatismus: Erreichen, was wirklich wichtig ist, aber sich nicht länger aufreiben für etwas, das langfristig keine Rolle spielt und nicht einmal wahrgenommen werden wird. Sie gewichten Ihre Aufgaben sinnvoll: Wo lohnt es sich, um das bestmögliche Ergebnis zu kämpfen – und wo dürfen Sie es bei einer soliden Durchschnittsleistung belassen, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne „Vereinsamt im Homeoffice: So finden Journalistinnen und Journalisten neue Lebensfreude“

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

 

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