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Der Fall Boris Becker: Warum Journalisten keine Angst vor kritischen Fragen haben dürfen

Als die Reporterin von ihrer ersten größeren Pressekonferenz im Kreishaus zurück in die Redaktion eilt, wartet der Lokalchef bereits auf sie. "Sie können doch nicht so mit dem Landrat umgehen", schimpft der erfahrene Journalist mit der Jung-Redakteurin. Ihr Fehler - sie hatte Fragen gestellt, viele Fragen.

Berlin - Es gibt einige Geschichten aus dem journalistischen Alltag, die Beobachter mit dem Kopf schütteln lassen. Wenn erfahrene Kollegen junge, engagierte Journalisten einbestellen, weil sie die Sätze des Veranstalters hinterfragen. Und der Gastgeber der Pressekonferenz ausgerechnet jeden Samstag mit dem Lokalchef Tennis spielt, ihn duzt und sich daher so richtig ärgert, weil die junge Kollegin nicht allein ein schönes Bild mit Plakat macht, sondern tatsächlich kritische Fragen stellt. Und das bei seiner Pressekonferenz! Dann wird im Text geändert und gekürzt, schlimmer, der Artikel erscheint überhaupt nicht, dafür wird die Pressemitteilung eins zu eins ins Blatt gehoben.

Wenn Journalisten mittendrin im Geschehen sind und mehr als Fan denn als Reporter Fragen stellen, läuft etwas gehörig schief in dieser Republik. Weil im Sport die Grenzen bei der Jagd nach Exklusivgeschichten verwischen, Reporter teilweise sogar als Mentor auftreten und sich schützend vor "ihren" Athleten aufbauen, vergessen später manche Prominente, dass Journalisten nicht dafür da sind, ihre Werbung unters Volk zu bringen, sondern sie kritisch zu beleuchten.

 

Der Fall "Badische Neuesten Nachrichten"

Es war das Jahr 2005, als eine Journalistin der "Badischen Neuesten Nachrichten" (Karlsruhe) kritisch über Lidl berichtete. Der Discounter bestellte die Verlagsleitung ein, die entließ erst die Journalistin, um die Kündigung später zurückzunehmen. Geholfen hatte schon damals die öffentliche Berichterstattung in anderen Medien über den Fall.

 

Es gibt einige Paradefälle, Ausfälle von Prominenten, die am Ende nicht so dramatisch sind wie die Fälle in der Lokal-, in der Regionalberichterstattung. Warum? Sie werden öffentlich -  wenn dagegen der Bürgermeister den Verleger der lokalen Zeitung anfaucht, interessiert es einen Ort weiter schon niemanden mehr.

Das Schlimme - das Thema wird unter den Teppich gekehrt und in der Stadt weiß jeder, werde ich laut, schreibt die Zeitung nicht schlecht über mich. Auch das passiert noch heute im Journalismus, ob in Berlin, im Sauerland oder in Kärnten.

Bastian Schweinsteiger knöpft sich Journalisten vor

In den vergangenen Monaten gab es da zum Beispiel Bastian Schweinsteiger, der Ende April bei einem Pressegespräch öffentlich über einen "Bild"-Kollegen fluchte. Der Fußballer schimpfte, fühlte sich verunglimpft in den Artikeln des Autoren: "Was du schreibst, ist ein Witz. Normalerweise, wenn die Leute nicht hier wären, wenn wir unter vier Augen wären, würde ich dir nicht zuschauen, dann würde es anders ausschauen. Das schwöre ich dir. Das wirst du schon sehen. Du musst ordentlich schreiben", drohte Schweinsteiger, bevor er das Pressegespräch mit den Worten verließ: "Ganz ehrlich, ich habe keine Lust mehr. Wegen so einem Pisser brauche ich mich nicht so zutexten lassen. Arschloch".

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Ein anderer Nationalheld ist Boris Becker. Noch am Samstag erschien im Berliner "Tagesspiegel" ein positiv gehaltenes Porträt über den Wimbledonsieger. "Boris Becker spielt eine erfolgreiche Doppelrolle: Bei uns ist der ehemalige Tennis-Profi eine reine Boulevardgröße, für die BBC kommentiert er den Sport", schreiben Joachim Huber und Matthias Thibaut.

Der Artikel muss früh in den Andruck gegangen sein, sonst hätte es Joachim Huber mit Sicherheit nicht ausgelassen, darüber zu berichten, wie Beckers sorgsam aufgebaute Fassade am Freitag in sich zusammenfiel. "PR-Gau in London - Boris Becker beschimpft deutsche Journalistin" titelt Carsten Volkery auf Spiegel Online. "Beckers misslungener Return" schreibt Korrespondentin Jasmin Fischer in der "Westdeutschen Zeitung": "Spiel, Satz und Superflop für Boris Becker: In seinem neuen Job als „Tourismusbotschafter“ Großbritanniens heimst der Wimbledon-Held viel frischen Glanz ein. Doch gleich beim Start in die Diplomaten-Rolle kam es zum Eklat: Kritische Fragen nach seinem Engagement in England parierte er pampig – und ließ zum Schreck der Briten vor der Tür noch seinen inneren Teutonen raus."

Boris Becker und sein "innerer Teutone"

Grund für Beckers gekippte Laune war die Frage von Tina Kaiser, preisgekrönte Autorin und Wirtschaftskorrespondentin der "Welt"-Gruppe, eine Journalistin, die für ihre bissige und pointierte Art gefürchtet und geschätzt wird. Kaiser wollte wissen, ob sich Becker deshalb in England engagiere, weil er in Deutschland eher kritisch gesehen werde und weil seine Finca auf Mallorca versteigert werden solle. Becker antwortete nicht nur pikiert auf die Frage, sondern marschierte nach dem Pressegespräch auch direkt auf die Journalistin zu. Tina Kaiser schildert die Situation in der "Welt" so: "Ein Boris Becker lässt so etwas aber nicht auf sich sitzen. Das Marketingteam von VisitBritain ist perplex, als Becker sich von ihm löst und mit schnellen Schritten auf die Gruppe deutscher Journalisten zusteuert. "Wenn Sie keine Lust auf die Veranstaltung haben, hätten Sie ja nicht kommen müssen", eröffnet Becker den Wutausbruch gegen die "Welt"-Reporterin. Man kann die Situation aber auch positiv sehen: Immerhin hat der Weltstar seine berühmte Beckerfaust nicht ausgepackt", schreibt die Diplom-Volkswirtin, die an der Kölner Journalistenschule ihr Handwerk gelernt hat.

 

Tina Kaiser, Wirtschaftskorrespondentin der "Welt"-Gruppe in London, stellt unbequeme Fragen. Boris Becker mag die unerschrockene Journalistin nicht. Foto: Christian Kielmann/Welt-Gruppe

 

 

Wir erreichen Tina Kaiser in London. Die Kollegin hat Besuch, und gerade gibt es einen Platzregen, das Interview muss um fünf Minuten verschoben werden. Wir wollen wissen - was war da los?

"Boris Becker steht seit über 25 Jahren in der Öffentlichkeit. Er sollte genug Medienerfahrung haben, um mit kritischen Fragen souverän umgehen zu können. Vor allem, da er zu der Gruppe Prominenter gehört, die einen großen Teil ihres Privatlebens bewusst mit der Öffentlichkeit teilen und es zur Selbstvermarktung nutzen", sagt Tina Kaiser im NEWSROOM-Gespräch. Und sie ergänzt: "Über seine unprofessionelle Reaktion auf meine zugegeben provokante Frage war ich ganz klar überrascht. In den englischen Medien hatte ich Boris Becker zuletzt als schlagfertigen und charmanten Kommentator erlebt und eine gelassenere Antwort erwartet."

Angst vor körperlicher Gewalt habe sie zwar nicht gehabt, sich aber schon ordentlich erschrocken, als Becker auf sie zugestürmt sei und ziemlich nah vor ihr "herumgefuchtelt" habe.

"WELT"-Chefredakteur Jan-Eric Peters stellt sich vor seine Korrespondentin, nimmt sie gegen Angriffe in Schutz. Zu NEWSROOM sagt er deutlich: "Selbstverständlich gibt es keinen Prominentenbonus bei der "Welt". Gefragt wird, was interessant oder wichtig und am besten beides ist, und das hat Tina Kaiser getan. Die Fragen müssen dem Interviewten nicht gefallen, es geht um lesenswerte Antworten."

Welch wichtige Rolle der Rückhalt aus der Führungsriege für die Redakteure spielt, weiß Holger Schellkopf. Der stellvertretende Chefredakteur der "Mittelbayerischen Zeitung" kennt Beschwerden und weiß damit umzugehen. "Wir stellen uns vor unsere Leute", sagt Schellkopf im NEWSROOM-Gespräch. Meistens wisse er schon von den kritischen Fällen, bevor die Beschwerden bei ihm landen würden. "Dann beruhigen wir die Leute und meistens gibt es am Ende ein gemeinsames Gespräch", so der Vize-Chefredakteur der Regensburger Tageszeitung.

Schellkopf, und das muss ein Warnzeichen für die gesamte Branche sein, hat festgestellt, dass die "Vorstellung, Interviews und Pressegespräche in eine Richtung zu bringen, zugenommen hat" - und zwar in allen Bereichen, ob im Sport, in der Politik oder in der Wirtschaft.

Heißt - bei Pressegesprächen soll nur über das Thema gesprochen werden, zu dem eingeladen wurde. Mehr nicht. Geht das? Geht nicht, auch nicht bei Boris Becker, der lebenden Tennis-Legende, den die Nation dabei beobachten konnte, wie er Wimbledon gewann und dann im deutschen Boulevard ein ständiges Auf und Ab erlebte.

"Boris Beckers Reaktion auf eine kritische Reporterfrage zeigt, dass Tina Kaiser ins Schwarze getroffen hat. Und sie hat die Pressekonferenz als das benutzt, was sie sein soll: als Forum für Journalisten, kritische Fragen zu stellen", sagt Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes. "Im journalistischen Alltag sind die Ertappten jedoch meist keine ehemaligen Tennisstars, sondern Bürgermeister, Landräte und Unternehmer. Statt Antworten zu geben, versuchen manche von ihnen, Berichterstattung zu verhindern. Dagegen gibt es nur zwei Methoden: Sich nicht einschüchtern lassen und die Drohungen öffentlich machen", empfiehlt Zörner im Gespräch mit NEWSROOM.

Tina Kaiser, die erst vor wenigen Wochen mit dem Ludwig-Erhard-Preis ausgezeichnet wurde, gilt als unerschrockene Journalistin - sie bohrt da nach, wo es schmerzt. Sie nimmt das Mandat, das ihr die Leser der "Welt" geben, ernst.

Kaiser hat es schon geschafft, den "intelligenten Bohlen" auf die Palme zu bringen - so sehr, dass der zu einer "langen und reichlich rüden Schimpftirade" ansetzte.

Eine andere Geschichte wird nur unter der Hand im Springer-Verlag erzählt. Da hatte sie Bernd Runge, damals Chef vom Verlag Condé Nast, in einem von dem Society-Verlag angebotenen Interview auf seine Stasi-Vergangenheit angesprochen. Die Stimmung kippte, Condé Nast verweigerte die Freigabe des Interviews, das niemals erschien.

Bülend Ürük

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