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Analyse zu Stasi-Vergangenheit von Verleger: Offenkundiges berichtet

Analyse zu Stasi-Vergangenheit von Verleger: Offenkundiges berichtet Hoger Friedrich: Wie geht der Neo-Verleger mit seiner Vergangenheit um?

Die Vergangenheit hatte den Berliner Neu-Verleger schnell eingeholt. Holger Friedrich war IM der Stasi. Wie ist das heute zu bewerten, 30 Jahre nach dem Mauerfall? Nun gibt es zwar ein Experten-Papier, aber die Diskussion dürfte noch lange nicht zu Ende sein.

Berlin (dpa) − Nach Bekanntwerden der Stasi-Vergangenheit des Berliner Verlegers Holger Friedrich gehen unabhängige Experten davon aus, dass er „überwiegend Offenkundiges“ berichtet hatte. In einem Fall führten die Informationen des damaligen Soldaten aber zu einer strafrechtlichen Belehrung eines anderen, schreiben die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk in einem Brief an die Chefredakteure von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“, Jochen Arntz und Elmar Jehn. Dieser wurde am Mittwoch gemeinsam mit der Analyse der Experten veröffentlicht.

 

Die Experten waren von der Redaktion gebeten worden, bei der Sichtung der Stasi-Papiere zu helfen. Die Chefredakteure kündigten eine „adäquate Aufarbeitung der DDR-Geschichte“ in „Eigener Sache“ an.

 

Die Informationen von Friedrich trugen den Experten zufolge keinen „politisch-ideologischen Charakter“. Solche Aussagen zu Lasten Dritter finden sich laut Birthler und Kowalczuk nicht in den gesichteten Papieren. Friedrichs Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit dauerte demnach von Juni bis August 1988. Es kam in dieser Zeit demnach zu vier Treffen, von denen insgesamt sechs Berichte überliefert sind.

 

„Neben dem Umstand, wie Holger Friedrich zum IM gepresst wurde, ist bei der Beurteilung zu berücksichtigen, dass es nur wenige Treffen als IM gab, dass diese unter der besonderen Situation in der Armeeeinheit zustande kamen (...)“, heißt es in der Bewertung der Experten. Außerdem habe Friedrich diese Zusammenarbeit, als ein neuer Führungsoffizier für ihn tätig wurde, beendet und betont, dass er diese nie freiwillig eingegangen wäre.

 

Im Herbst hatte das branchenfremde Unternehmerehepaar Silke und Holger Friedrich den Berliner Verlag, zu dem „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ gehören, von der DuMont-Mediengruppe übernommen. Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ war Mitte November bekanntgeworden, dass Friedrich in der DDR zeitweise Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Die Nachricht hatte die Redakteure im Berliner Verlag überrascht.

 

Friedrich hatte mit Bekanntwerden in der „Berliner Zeitung“ (online) erklärt, er habe eine handschriftliche Verpflichtungserklärung bei der Stasi aus einer Notsituation nach einer Verhaftung heraus verfasst, um einer befürchteten Gefängnisstrafe zu entgehen. Er sei „nicht aktiv“ für die Staatssicherheit tätig gewesen. Bei der ersten Gelegenheit habe er sich dieser Notsituation entzogen und danach die Zusammenarbeit verweigert.

 

Die Redaktion kündigte daraufhin an, den Fall selbst aufarbeiten zu wollen. Die Havemann-Gesellschaft veröffentlichte am Mittwoch zunächst die mehr als 20-seitige Analyse der beiden Experten. Auch die „Berliner Zeitung“ stellte das Ganze online. Betont wird dort auch, dass Birthler und Kowalczuk ehrenamtlich und unabhängig arbeiteten.

 

Die beiden Experten sichteten 80 Kopien aus dem archivierten Vorgang zum Inoffiziellen Mitarbeiter „Peter Bernstein“, wie aus der Analyse weiter hervorgeht. Friedrich habe sämtliche an ihn herausgegebene Unterlagen zur Verfügung gestellt. In der Analyse geht es sowohl um Berichte, die über Friedrich erstellt wurden, als auch um Berichte, die er an die Stasi lieferte.

 

In der Rückschau wird von einem frühen Stadium aus detailliert beschrieben, wie es zu der Zusammenarbeit Friedrichs mit der Stasi kam. Ein zentrales Beispiel: Als Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) habe er sich einem Dokument vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zufolge von einem Standort unerlaubt entfernt. Daraufhin sei sein Schrank in der Kaserne geöffnet worden. Briefe hätten nahegelegt, dass er eine politisch negative Einstellung zur NVA und zur DDR besitze, wie die Experten die Meinung eines Stasi-Funktionärs wiedergeben. Auch Fluchtabsichten seien Friedrich unterstellt worden.

 

Die IM-Tätigkeit Friedrichs erfolgte laut Bewertung der Experten unter dem Druck, „ansonsten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden“. Er habe zu dem Zeitpunkt nicht ahnen können, dass die Stasi für den Verdacht der Fahnenflucht nach ihrer internen Einschätzung keine Beweise gehabt habe, heißt es in dem Papier.

 

Das MfS war innerhalb der NVA überproportional vertreten, wie in der Analyse beschrieben wird. Deshalb sei die Zusammenarbeit vielen als Befehl vorgekommen, dem man sich nur schwer habe entziehen können − wollte man nicht eine Befehlsverweigerung riskieren, zitieren die Experten einen Stasi-Forscher.

 

Die sogenannte Kontaktierungsphase − also die Zeit, bis Friedrich dann als IM anheuerte − dauerte von Ende 1987 bis Mai 1988. In dieser Zeit kam es zu sieben Treffen. Friedrich habe sich in dieser Zeit bemüht, den Eindruck zu vermitteln, den „Anforderungen des MfS an eine inoffizielle Zusammenarbeit gerecht zu werden“.

 

Zu Infos Friedrichs über einen anderen Soldaten, der zu dessen Belehrung führte, schrieben die Experten in der abschließenden Bewertung: „Damit war u.U. ein erhebliches Einschüchterungspotential für den Betroffenen verbunden. Weitere Folgen, die durch Friedrichs Informationen zu konstatieren wären, ließen sich nur mit Akten, die über Dritte eventuell existieren, ersehen. Sehr wahrscheinlich erscheint das nicht.»