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Abrechnung auf Facebook: Publizist Christian Nürnberger kündigt sein taz-Abo

Abrechnung auf Facebook: Publizist Christian Nürnberger kündigt sein taz-Abo Ex „taz“-Abonnent Christian Nürnberger. Foto: Facebook

Die „taz“ debattierte „über etwas, worüber es nichts zu debattieren gibt. Damit macht sie die Menschenwürde zu etwas Verhandelbarem“.

Berlin – Die „taz“ verliert einen Abonnenten. Stammleser Christian Nürnberger kündigt. Nach dem Kommnetar von Hengameh Yaghoobifarah sicher kein Einzelfall. Aber Nürnberger erklärt seine Entscheidung ausführlich auf Facebook:

 

Schon oft hatte ich aus Wut mein „taz“-Abo gekündigt. Und ebenso oft hatte ich aus Begeisterung die „taz“ wieder abonniert. Heute habe ich wieder gekündigt. Nicht wegen des menschenverachtenden Artikels, den die „taz“-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah vor ca. einer Woche geschrieben hatte, sondern wegen dem, was danach geschah.


Die Kolumnistin hatte sich die Frage gestellt, wo Polizisten arbeiten könnten, wenn man die Polizei abschaffte, ging verschiedene Möglichkeiten durch und kam zu dem Ergebnis: für so ziemlich alles ungeeignet, charakterlich und auch sonst. Von Menschen sollte man sie daher fernhalten, am besten auch von Tieren. Und nicht einmal zum Briefe-Austragen taugen sie, weil: Sie könnten ja Briefbomben ins Postfach legen. Gastronomie geht auch nicht – Vergiftungsgefahr. Töpfern? Dann würden sie Hakenkeuzgeschirr herstellen und mit den Einnahmen das nächste Terrornetzwerk aufbauen.


„Spontan“ fiel der Kolumnistin nach ihrem langen Anlauf zu ihrem vermeintlichen Gag dann „nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie. Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“


Abgesehen davon, dass diesem Text jeglicher Witz abgeht, er nicht einen einzigen Geistesblitz enthält und er weniger originell ist als eine schlechte Schülerzeitung, ist er vor allem ein absolutes No-go – erst recht in einer Zeitung, die eine Wissenschaft aus dem politisch korrekten Schreiben und Sprechen gemacht hat und feinst unterscheidet, wann Autor*innen/Kolleg*innen zu schreiben ist und wann Autor:innen, Redakteur:innen und Ressortleiter:innen. Flüchtlinge müssen Geflüchtete heißen, Studenten sind Studierende, wer das N-Wort benutzt ist fast schon ein Verbrecher und nirgends ist die Aufregung über rechte Hetze und misogyne, homophobe, islamophobe und xenophobe hate-speech größer als in der „taz“, aber wenn Polizisten als Müll bezeichnet werden, ist das Satire vom Feinsten, wie die „taz“-Kolumnistin und deren Verteidiger glauben machen wollen.


Nebenbei: Es gibt auch weibliche Cops mit Migationshintergrund in der deutschen Polizei. Die „taz“ muss mal klären, ob die auch unter Müll subsumiert werden oder vielleicht doch lieber etwas freundlicher benannt werden – Bull*innen vielleicht. Oder Müll:innen?


Alles wäre gut gewesen, wenn die „taz“ sich am nächsten Tag entschuldigt und geschrieben hätte: Ok, das war voll daneben, auch wenn’s satirisch gemeint war, ehrlich. Aber Polizisten mit Müll gleichzusetzen geht nun mal nicht. Auch Polizisten sind Menschen, also ist auch deren Menschenwürde unantastbar. Sorry. Wird nicht wieder vorkommen.


Stattdessen eröffnete die „taz“ eine Debatte. Sie debattierte also über etwas, worüber es nichts zu debattieren gibt. Damit machte sie die Menschenwürde zu etwas Verhandelbarem. Jene, die wie die verantwortliche Ressorleiterin Saskia Hödl offenbar glauben, die für Menschen gemachte Gesetze seien auf Polizisten nicht anwendbar, betrieben einen hohen Aufwand an soziologischem Geschwurbel, Diskriminierungs- und Minderheiten-Kauderwelsch, um das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen.

 

So gibt es nun also auch in der „taz“ nicht mehr den Konsens, der die pluralistische bundesdeutsche Gesellschaft über alle Unterschiede hinweg noch bis vor kurzem zusammengehalten hat. Dieser Konsens war das Grundgesetz. Nichts anderes hatte zu gelten als diese Verfassung. Ausnahmslos. Für alle Menschen.


Der Konsens bröckelte, als die Pegida-Horden durch Ostdeutschland zogen und durchzusetzen versuchten, das Grundgesetz nur noch auf Bio-Deutsche anzuwenden. Inzwischen haben sie und ihr politischer Arm im Parlament, die AfD, diesen Konsens von rechts aufgekündigt.


Der „taz“-Debatte ist nun zu entnehmen, dass der Konsens auch von links gekündigt wird. Und, das sei zum Schluss bemerkt, es ist eine „taz“-Redakteurin, die das erkannt und formuliert hat. Die tapfere Bettina Gaus, die in der innerredaktionellen Debatte gegen den Polizeimüll-Text Stellung bezogen hat, fragte entsetzt:„Kann es wirklich wahr sein, dass wir uns innerhalb unserer Zeitung allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz nicht mehr darauf verständigen können, was unter Menschenwürde zu verstehen ist – und wie wir auf deren Verletzung reagieren sollten?“


Man kann ihr nicht vorwerfen, das „Anliegen“ der Verteidiger des Müll-Textes nicht verstanden zu haben. Sie fasst in wenigen Sätzen präzise zusammen, wofür die Müll-Verteidiger ein Dutzend Absätze brauchen: „Ihr privilegierten Weißen habt ja keine Ahnung. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt, aufgrund äußerer Merkmale diskriminiert zu werden, lebenslang benachteiligt zu sein. Und deshalb eine – ja, auch unsachliche – Wut zu empfinden. Stimmt. Das wissen wir nicht. Aber das rechtfertigt nicht jeden Tabubruch. Die Achtung der Menschenwürde ist nicht verhandelbar, egal, wer sie verletzt.
Deshalb werde ich die Kolumne, um die es hier geht, auch nicht brav nach außen hin verteidigen und nur intern kritisieren. Das wäre falsch verstandene Solidarität. Den Korpsgeist, der andere Organisationen auszeichnet, halte ich im Hinblick auf die ,taz‘ nicht für erstrebenswert. Dafür – oh ja, wirklich: dafür – ist die Zeitung nicht gegründet worden.“


Ich habe nicht den Eindruck, dass die „taz“-Redaktion als Ganzes den Ernst und die Wucht des Gaus-Textes bemerkt hat. Sie stellte eine zutiefst grundsätzliche Frage. Statt darauf einzugehen, begründen einige Redakteur:innen munter weiter, warum der Müll-Text doch voll ok sei.


Inzwischen scheint die ganze Redaktion höchst erfreut darüber zu sein, dass der dumme Seehofer mit einer Strafanzeige gedroht hat. Über die ersten drei Seiten hinweg hat sich die „taz“ gestern darüber ereifert, dass Seehofer vielleicht ihre Mülltext-Redakteurin anzeigt. Nun muss man nicht mehr über den Text reden, jetzt kann man über Pressefreiheit reden, egal, ob Seehofer wirklich so dumm ist, ihnen den Gefallen zu tun oder nicht.


Ich kündige trotzdem oder gerade deswegen mein Abo. Einfach um den Mülltext-Verteidigern zu signalisieren, dass ich nicht mithelfen möchte, eine Zeitung zu finanzieren, in der einige Redakteur:innen glauben, die Menschenwürde sei verhandelbar. Wenn sie dem Müll-Text öffentlich abschwören oder die „taz“-Redaktion verlassen, kehre ich als Abonnent zurück. Sonst nicht. Und ob der Seehofer auf seinem Baum bleibt oder wieder runterkommt, ist mir wurscht.