Jobs
Newsroom

Loyalität im Medienalltag: Welcher Chef stellt sich noch vor seine Mitarbeiter?

Loyalität im Medienalltag: Welcher Chef stellt sich noch vor seine Mitarbeiter? Mediencoach Attila Albert

Falsche Informationen, Produktionsfehler oder eine missliebige politische Meinung: Medienprofis werden regelmäßig öffentlich angegriffen. Nicht jeder Vorgesetzte mag sich schützend davor stellen. Mediencoach Attila Albert über Loyalität im Medienalltag und was realistisch erwartbar ist.

Berlin – Die Redakteure eines News-Ressorts trauten den Worten ihres Ressortleiters seit langem nicht mehr. Regelmäßig bestellte er Themen und behauptete später – wenn sie umgesetzt waren, ihn aber schon wieder langweilten –, sie nie beauftragt zu haben. Gab es Kritik vom Chefredakteur oder Verlag, etwa wegen eines missglückten Beitrags oder einer zu teuren Recherche, stellte er sich gegen sein Team: Er habe davon nichts gewusst, das sei klar gegen seine Anordnungen. Einige Kollegen hatten ihm seine eigenen E-Mails mit exakt diesen Anweisungen vorgelegt. Darauf entgegnete er, er wäre falsch verstanden worden, das sei ein alter Stand – und diese Argumentation übrigens ein Vertrauensbruch.

 

Immer wieder kommt es vor, dass Medienprofis – zu Recht oder zu Unrecht – in die Kritik geraten. Sei es wegen Irrtümern und Fehlern, häufig aber auch wegen ihrer Ansichten, vor allem bei politischen Themen. Wie stellt sich der Vorgesetzte dazu? Das ist nicht nur eine Stil-, sondern oft auch eine Existenzfrage, gerade für freie Mitarbeiter. Für die Redaktion ist es nicht selten einfacher, sich von dem Mitarbeiter zu trennen, als öffentliche oder rechtliche Angriffe auszuhalten und auszufechten. Jeder mag sich aus eigener Erfahrung die Frage beantworten, wie häufig loyale, charakterstarke Vorgesetzte sind. Die Positionierung für einen Mitarbeiter ist für ihn ein Risiko, erfordert Mut und ein gewisses Standvermögen.

 

Mitarbeiter-Entlassung gefordert

Jürgen Mladek, Chefredakteur des „Nordkurier“, berichtete gerade über die Forderung, seine Textchefin Simone Schamann wegen ihrer Beiträge zur Corona-Politik zu entlassen: „Sie tun das öffentlich auf Twitter und hinterrücks durch ,Meldung‘ beim Arbeitgeber.“ Er konterte mit einer Abrechnung mit dem „Haltungsadel“. Michael Reinhard, Chefredakteur der „Mainpost“, sieht sein gesamtes Team angegriffen: „Die im Lande grassierende Gereiztheit bekommt auch die Redaktion in Telefonaten, Zuschriften und Mails unmittelbar zu spüren. Der Ton ist oft rau und unversöhnlich.“ Andere entschuldigten sich für Meinungsbeiträge ihrer Kollegen, etwa die „Süddeutschen Zeitung“ für den Igor-Levit-Beitrag von Helmut Mauró oder zuvor „Die Zeit“ für den Contra-Beitrag zum Thema Seerettungen von Miriam Lau.


Die „NZZ“ erhielt für einen Beitrag der Autorin Birgit Kelle, der Transexualitäts-Therapien für Kinder kritisiert, eine Strafanzeige und Beschwerden beim deutschen und beim Schweizer Presserat. Der 1. FC Köln verabschiedete seinen neuen Mediendirektor Fritz Esser, bis 2019 bei „Bild“, nur zwei Tage nach seiner Vorstellung. Frühere Artikel und Tweets von Esser, seit Jahren online, dem neuen Arbeitgeber aber angeblich unbekannt, hatten einige wortstarke Fans empört. Der Fussballclub teilte umgehend mit, er habe Esser zwar „als integren Menschen mit demokratischem Wertegerüst kennengelernt“, sich aber „nach intensivem Austausch entschieden, auf die Zusammenarbeit zu verzichten“.

 

Fehler passieren jedem Medienprofi

Und zwar überall. Veröffentlichte Informationen stellen sich als inkorrekt oder überholt heraus. Fotos sind falsch beschriftet, Namen vertauscht. Grammatik- und Tippfehler werden übersehen. Keinem fällt auf, dass Blindtext in Druck geht. Ich habe schon Zeitungsausgaben gesehen, in denen der selbe Artikel mehrfach erschien, einmal sogar auf einer Seite. Dazu kommen Fehler der anderen Art, häufig aus überzogenem Ehrgeiz. Die unautorisierte Biografie von Roger Köppel (heute „Weltwoche“) berichtet, wie Köppel als junger „NZZ“-Redakteur eine Filmkritik aus einem US-Magazin abschrieb und als seine eigene ausgab. Einem Leser, der zufällig beide Titel las, fiel das auf. Er beschwerte sich beim Chefredakteur. Köppel bekam eine Verwarnung, der Leserbrief wurde unveröffentlicht abgeheftet. Sein Glück: Damals gab es Social Media noch nicht.

 

Heikle, schwierige Situationen sind das immer – für die betreffenden Redaktionen bzw. Unternehmen, mehr noch aber für die individuellen Mitarbeiter. Hier deshalb einige Erwägungen, die Sie bei der Reflektion dieses Themas begleiten könnten.

 

  • Machen Sie sich grundsätzlich bewusst, dass Sie heute vor einer höchst kritischen, nicht selten aggressiven und stark vernetzten Öffentlichkeit agieren. Jeder erkannte Fehler wird Ihnen mitleidlos und hämisch vorgehalten werden. Sie werden nie alle vermeiden können, sollten aber auch keine fahrlässig machen. Beispiel: Unerlaubtes Kopieren von Informationen oder Texten fällt heute sehr schnell auf.
  • Überdenken Sie Ihren öffentlichen Auftritt, vor allem auf Social Media. Als Journalist, Unternehmenssprecher oder PR-Experte sind Sie nie wirklich privat. Ein Hinweis wie „hier privat“ im Twitter-Profil rettet Sie nicht. Wenn Sie persönliche und insbesondere politische Ansichten veröffentlichen, sollten Sie das so tun, dass Sie damit leben können, dass Screenshots davon bei Ihrem Arbeitgeber landen.
  • Schauen Sie sich Ihren Vorgesetzten an: Würden Sie diesem Mann bzw. dieser Frau in einer kritischen Situation vertrauen, in der es um Ihre berufliche Existenz und um ihren persönlichen Ruf geht? Sie werden garantiert Fehler machen und sollten sich, wenn Sie sich sogar sicher sind, dass man Sie hängen lassen würde, nach einem neuen Chef umsehen. Für bewusste Fehler (z. B. Fälschungen) haften Sie selbst.
  • Sie können Loyalität nicht erpressen. Etwa durch Notieren aller Äußerungen Ihres Vorgesetzten oder Archivieren aller E-Mails. Es gibt Journalisten, die ihr laufendes Diktiergerät im Konferenzraum „vergessen“, um gewisse Aussagen des Chefs zu protokollieren. Dieses Verhalten zeigt schon einen enormen Vertrauensverlust und kann Ihnen schwer schaden. Sinnvoll nur noch, wenn Sie sowieso gehen wollen.
  • Beschwerden und klärende Gespräche beim nächsthöheren Vorgesetzten sind möglich, aber heikel. Meist haben diese wenig Interesse an komplizierten, vielfach widersprüchlichen Details. Sie geraten nicht selten in die Situation, nicht gehört oder verstanden zu werden. Wenn Sie Vorwürfe vorzubringen haben, sollten sie kurz und sehr stichhaltig – so, dass sie auch vor einem Arbeitsgericht Bestand hätten.

 

Am wichtigsten vielleicht: Seien Sie Ihren Branchenkollegen ein Freund. Wenn Sie einen Fehler in einem Artikel bemerken, schreiben Sie vielleicht zuerst eine direkte Nachricht, als ihn genüßlich auf Twitter bloßzustellen. Wenn jemand in Ihrem Umfeld versagt, sei es ein Kollege oder Ihr Vorgesetzter, zeigen Sie Geduld und Hilfsbereitschaft. Etwa mit einem diskreten Hinweis oder dem Angebot, das gemeinsam zu lösen und zu verbessern. Nutzen Sie nicht jede menschliche Schwäche zum Vergnügen aus, verzichten Sie auf manche wohlfeile Kritik. Das macht Ihnen nicht nur Freunde, sondern ist auch intelligent. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Sie selbst auch einmal die Nachsicht der anderen brauchen werden.

 

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis aus Journalismus, PR und Unternehmenskommunikation als Coach. Schwerpunkt: Berufliche und persönliche Neuorientierung. Im April 2020 erschien sein Buch: „Ich mach da nicht mehr mit“ (Gräfe und Unzer). Mehr als 20 Jahre hat er selbst als Journalist gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“ in Chemnitz, „Bild“ und „Blick“. Für einen Schweizer Industriekonzern baute er die globale Marketingkommunikation mit auf. Er hat Betriebswirtschaft und Webentwicklung studiert.


Sind Sie zufrieden mit ihrem Arbeitgeber?
newsroom.de recherchiert Woche für Woche alle Jobangebote aus der Branche und macht daraus einen Newsletter. Ein Blick auf Ihren Marktwert lohnt sich immer. Vielleicht stimmt ja der Job, nicht aber das Geld.

Top Meldungen aus Jobs