DPRG ZukunftsForum
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DPRG ZukunftsForum 2018: Bewaffnete Kunden, helle und dunkle Seiten in der PR − und ein Twitter-Schlagabtausch als Zugabe

DPRG ZukunftsForum 2018: Bewaffnete Kunden, helle und dunkle Seiten in der PR − und ein Twitter-Schlagabtausch als Zugabe

Mit 230 Besuchern komplett ausverkauft, Austausch und Input bis zum Anschlag, Open-Air Sessions mit Blick auf die Alster – das DPRG ZukunftsForum 2018 am 28. und 29. Juni legte in seiner 4. Auflage die Messlatte für zukünftige Veranstaltungen noch einmal ein deutliches Stück höher.

Nicht eingeplant, aber sehr willkommen: Passgenau zum Dachthema „Werte in der Digitalisierung“ durften die Gäste einen spontanen Schlagabtausch mit einer Bundespolitikerin per Twitter verfolgen. Werte spielten in Hamburg denn auch oft eine Rolle, ob in Agenturen, Unternehmen oder Medien. Einige der Erkenntnisse aus den Sessions kamen bekannt vor, aber vor allem gab es so manches Unerwartete. Hier kommen die Highlights aus der Sicht des Autors.

Aus rund 20 Sessionvorschlägen konnten die Gäste allein am ersten Tag auswählen. Bis zu fünf Sessions fanden gleichzeitig statt. Garniert wurde das üppige Angebot durch zwei Keynotes, eine Diskussionsrunde und vier Workshops. Veranstaltungsort war die Hochschule Fresenius. Präsentiert wurde das ZukunftsForum von Landau Media und von namhaften Hamburger Kommunikationsberatungen als Partner unterstützt.

Kurzes Politikerbashing zum Auftakt

Wer über Werte nachdenkt, sollte bei den eigenen anfangen. Dies war auf dem ZukunftsForum, liebevoll auf Twitter #Zukufo genannt, einige Male zu vernehmen. Wer gar nicht so recht zu wissen scheint, worum es geht, sollte lieber schweigen und zuhören. Mit dieser klassischen Handlungsmaxime startete die erste Keynote, wenn auch spontan und ungeplant. Die Steilvorlagen dazu lieferten Norbert Minwegen, Präsident der DPRG, und Jana Schiedek (SPD), Kulturstaatsrätin Hamburgs, erfolgreich eingelocht wurde dann von Keynote-Speaker Richard Gutjahr. 

„Blieben wir als Unternehmen bei Facebook oder schalten wir ab“, fragte Minwegen in der Begrüßungsansprache. Thema war der Nutzen des Sozialen Netzwerks und die damit verbundenen Risiken. Schiedek erklärte dazu, dass das für sie kein Problem sei, denn sie habe keinen Facebook-Account.

Auftritt Richard Gutjahr, der sich im Plenum als auch per Twitter (so viel Social Media-Blutgrätsche muss sein) über Politiker mokierte, „die über die Digitalisierung reden und damit kokettieren, ja selbst nie auf Facebook gewesen zu sein.“ Man müsse die Kämpfe gegen Google und Facebook führen. Deshalb lautete sein Appell: „Geht online. Diskutiert. Das Netz ist zu wichtig, um es den Hatern und den Trollen zu überlassen.“ Oder Politikern, was nach diesem Intro der Keynote klar war.

Der Kunde ist bewaffnet – das hilft ihm aber nicht immer

Fake News gab es in den deutschen Medien eigentlich schon immer – nur damals „konnte man uns Journalisten nichts“, so der Bericht aus dem journalistischen Nähkästchen Gutjahrs. Diese gute alte Zeit ist vorbei. Jetzt kommunizieren Politiker (unvermeidlicher Auftritt: US-Präsident Trump) und Unternehmen direkt mit den Wählern und den Kunden. Die Dimension des Umbruchs in den Medien, die Bedeutung der heutigen „Informations- und Deutungsschlacht“, sei laut Gutjahr vergleichbar mit Martin Luther als frühem „Influencer“ und der Druckerpresse als Tool zur Multiplikation seiner Thesen. Für Trump seien die Medien wichtig als Verstärker der durch die Tweets gesetzten Themen. Sie müssen darauf reagieren, denn schweigen wird ihnen zur Last gelegt – ein Rolle, aus der sie nur schwer ausbrechen können.

Die Kunden sind bewaffnet − und zwar mit dem Smartphone, meint Gutjahr. Beispiel: Der Fall des United-Airline-Skandals des letzten Jahres, als ein Passagier gewaltsam aus einem Flugzeug gezerrt wurde, weil der Flug überbucht war – hier zeige sich deren Macht. Der von Gutjahr ebenfalls als Beispiel genannte Dieselskandal wiederum zeigt aus der Sicht des Autors eher das Gegenteil. Gutjahrs Forderung: „Wir sollten den Muskel Empathie im täglichen Umgang trainieren, aber auch eine digitale Empathie entwickeln. Wir müssen verstehen, wie Kommunikation im Netz abläuft.“

Live-Schlagabtausch per Twitter in der Fortsetzung

Dann allerdings ging es zur Sache mit einem eingeschränkt empathischen Schlagabtausch per Twitter. Der Anlass: Christian Maertin, Head of Corporate Communications bei Bayer, stellt die Kommunikation zum Monsanto-Deal vor, Gutjahr twittert dazu. Vier Minuten später kommt via Twitter die Frage von Renate Künast: „Und, er ist noch stolz darauf? ?“ Es entsteht ein kurzer Austausch mit der mitteilungsfreudigen Politikerin der Grünen, bestes Anschauungsmaterial für das von Gutjahr vorgestellte Kommunikationsmodell.

Anpassen oder authentisch sein? Werte von Frauen und Männern in der PR-Arbeitswelt

Was soll es sein: Anpassung an bestehende (meist männlich geprägte) Werte oder die eigene Authentizität ausleben? Diese Frage stellte Cornelia Kunze, i-sekai, in der Session „Frauen in Führungspositionen (und auf dem Weg dorthin): Welche Rolle spielen Werte gestern und morgen?“. Ihre Antwort lautete: Zu den eigenen Werten stehen, aber auch leistungsorientiert sein. Dies unterstrich Inken Hollmann-Peters, Vice President Corporate Communications & Sustainability bei Beiersdorf: Einsatz und Leistungswille seien wichtig, ebenfalls Resilienz, die Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen.

Wie nun aber agieren in einer Arbeitswelt, die laut Kunze in Deutschland ähnlich wie in Japan und Korea sehr männlich geprägt ist? Frauen seien gut beraten, sich an bestimmte Gepflogenheiten im Unternehmen anzupassen. Dazu zählen Dienstwagen oder ein großes Büro als Statussymbole, auch wenn einem dies als protzig erscheinen möge, meinte Kunze. Netzwerken sei wichtig, sagte Hollmann-Peters. Frauen sollten durch Netzwerke Macht ausüben. Sinnvoll sei es, Verbündete an der Spitze zu suchen, dabei auch Männer.

Fronten sind von gestern, nur gemeinsam geht es weiter.

Die Diskussion zeigte, dass unter den Kommunikationsprofessionals die Frontenbildung zwischen Männern und Frauen als wenig zweckmäßig gilt. Das sei nicht mehr zeitgemäß, meinte Inken Hollmann-Peters. Ja, man müsse die Spielregeln der Männer kennen, sie aber nicht mitspielen. Es gelte, eigene weibliche Stärken auszuspielen. Männer müssen bei diesem Prozess „Teil des Ganzen“ sein. Und: Frauen sollten nicht auf eine andere Kultur warten. Sie sollten den Mund aufmachen, im Sinne des berühmten „speak up“ von Richard Edelman (Want to be heard in ‚macho culture?‘ Speak up, says Richard Edelman).

Die „hellen und dunklen Seiten der Macht“ in der Agenturwelt

Die Session von Tapio Liller (Oseon) befasste sich mit der Frage, wie sich Agenturen im Hinblick auf die „hellen und dunklen Seiten der Macht“ in der Digitalen Kommunikation entscheiden sollen − ein aus der Sicht des Autors enorm wichtiges Thema. Kommunikatoren müssen sich über ihre Rolle klar werden, die sie in einer technologiegetriebenen Gesellschaft haben sollen, forderte Liller. Welche Art von Fortschritt fördern wir durch unsere Arbeit, fragte er. Seine These: Technologie als solche ist weder gut noch böse.

Die Diskussion brachte interessante Aspekte: Vielen sei gar nicht bewusst, dass sie überhaupt eine Rolle spielen (können), hiess es. Und es sei schwer zu sagen, was gut und schlecht sei. Kommunikatoren sollten Moderatoren des Wandels seien. Sie könnten die Kompetenz der Menschen stärken, damit diese selber beurteilen könnten, was da (mit ihnen) passiert. Wie das geschehen soll? Das Zauberwort heißt Eigenverantwortung: Jeder ist für sich selbst verantwortlich und handelt entsprechend. Das Zitat von Richard Edelman wäre auch in diesem Kontext angemessen, denn es gab einige Zweifel, ob man als Individuum überhaupt etwas ausrichten könne.

Teil des Problems und der Lösung − wir sind alle grau

Gut oder böse, hell oder dunkel, das sei doch Quatsch, meint hingegen Thomas Voigt, Direktor Wirtschaftspolitik und Kommunikation bei der Otto Group. Die Unternehmen „sind alle grau“, so seine Überzeugung. Die Technologie sei weder gut noch schlecht, meint auch er. Allerdings würden wir uns momentan erst im „protodigitalen Zeitalter“ befinden, die großen Veränderungen kämen noch. Brauchen wir dazu neue Werte? Nein, das sei nicht nötig, meint Voigt. Die alten Werte würden bei weitem ausreichen, sie müssten nur gelebt werden. Hier habe auch das in Hamburg immer noch populäre Prinzip des „ehrbaren Kaufmanns“ seine Berechtigung. Unternehmen müssten deutlich machen, dass die Digitalisierung eine Chance ist. Ihnen sollte dabei bewusst sein, dass sie sowohl Teil des Problems als auch der Lösung sind.

Die hellen und dunklen Seiten der Medien

Information ist ein Mittel der Herrschaft, so Peter Kropsch, Geschäftsführer der Deutschen Presse-Agentur dpa, in seiner Keynote. Die heutigen Fake News–Flut führte bei dpa zu einigen personellen Veränderungen. Seit 2017 beschäftigt die Nachrichtenagentur einen Radar Officer, der das Grundrauschen der sozialen Medien im Blick behält. Ein Verification Officer soll von der Berliner Newsroom-Zentrale aus mit weiteren Experten im dpa-Netz eine neue Verifikations-Einheit aufbauen. Beispiele für Fake News brachte Kropsch reichlich mit. Was zu erwarten war: Social Media werden zwar von der dpa gerne genutzt und sind „gute Tippgeber“, aber keine verlässliche Quelle.

Fazit:

Thematisch hatten längst nicht alle Sessiongeber den Bezug zum Oberthema hergestellt, aber das wäre auch zu viel verlangt. Denn das ZukunftsForum ist ein „Mitmachkino“, so DPRG-Präsident Norbert Minwegen. Das Programm bestimmen zu einem guten Teil die Gäste. Das DPRG ZukunftsForum 2018 gab einen sehr guten Überblick zu dem, was die PR-Welt momentan bewegt.

Fotocredit: Marco J. Drews, Hamburg